Alltag im Krisenmodus
Bis auf wenige Ausnahmen sind sämtliche Dienststellen der Partei und des Staates im Landhauskomplex untergebracht. Die verdichtete Nutzung ermöglicht eine umfassende Kontrolle der Abteilungen und des Personals. Im Gebäude befinden sich nicht nur Büros. Eine Kantine, eine Kinoleinwand, ein Schießkeller und sogar ein Friseur stehen den Angestellten zur Verfügung. Eine Anstellung im Landhaus bringt Aufstiegschancen und Vorteile mit sich, die aber teuer bezahlt werden.
Andauernde Überlastung, umfassende Überwachung und drohende Luftangriffe verlangen dem Personal alles ab. Bis Kriegsende zwingen die NS-Machthaber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit allen Mitteln zur Erfüllung ihrer Pflicht. Der Landhauskomplex ist die Schaltzentrale der Verbrechen. Sie werden zum einen an den Schreibtischen der NS-Funktionäre und der Beamtenschaft organisiert und abgewickelt. Zum anderen dient das Gebäude als Anlaufstelle für Verrat und Verleumdung. Viel zu viele setzen das NS-Weltbild in blinder Pflichterfüllung und vorauseilendem Gehorsam bis zum Schluss um.
Nutzung
1. Adressbuch der Stadt Innsbruck 1940
2. Hofer am Balkon des Erweiterungsbaus im Juni 1940, Innsbrucker Nachrichten
3. Grundriss des 1. Geschosses des Landhauskomplexes im Mai 1939, TLA
4. Vorgaben für ein Übungsschießen im Luftschutzkeller im April 1941
5. Gemeinschaftssaal mit Wandmalereien von Sepp Ringel
1. Raum Macht Gewalt
Bis auf eine Ausnahme sind sämtliche Dienststellen der Partei im Erweiterungsbau untergebracht. Am meisten Platz nimmt die Deutsche Arbeitsfront ein. Die staatlichen Abteilungen befinden sich weiterhin im historischen Landhaus und im Taxispalais. In keinem anderen Reichsgau gibt es eine vergleichbare räumliche Zentralisierung der Macht.
2. Funktion statt Repräsentation
Nur ein einziger Auftritt des Gauleiters am Balkon des Erweiterungsbaus ist dokumentiert. Das Gebäude dient im Alltag als reiner Funktionsbau. Größere Veranstaltungen und Kundgebungen finden vor dem heutigen Landestheater statt.
3./4./5. Alles unter einem Dach
Das historische Landhaus, das Taxispalais und der Erweiterungsbau bilden eine in sich geschlossene Verwaltungseinheit. Im Luftschutzkeller steht der Belegschaft ein eigener Schießstand zur Verfügung. Zur „möglichst intensiven Ausnutzung“ der Arbeitszeit gibt es eine Kantine, deren Nutzung verpflichtend ist.
Anstellung
1. Eingangsbereich des historischen Landhauses mit Wachpersonal, StAI
2. Streng vertrauliche politische Beurteilung einer Angestellten durch das Gaupersonalamt im Jänner 1941, TLA
3. Meldung des Hausmeisters an Gauleiter Hofer im April 1942, TLA
4. Rundschreiben des Gauleiters zu Arbeitszeit und Urlaubssperre im August 1944, TLA
5. Fotoalbum der Angestellten Anna B., privat
1./2./3. Disziplin und Überwachung
Ein engmaschiges Überwachungsnetz prägt den Berufsalltag im Landhaus. Zuspätkommende werden von der Wache gemeldet. Das Gaupersonalamt überprüft sämtliche Angestellte, vom Heizer bis zur Reinigungskraft, auf ihre politische Zuverlässigkeit. Der Hausmeister meldet Verfehlungen an den Gauleiter. „Entheben (sofort!!)“ und „Disz.verfahren!“ notiert dieser am unteren Blattrand einer Anzeige.
4. Ausbeutung für den „totalen Krieg“
Mit der Fortdauer des Kriegs werden die Arbeitsbedingungen im Landhaus immer schlechter. Ständig wird die Arbeitszeit erhöht. Urlaub gibt es auf vielen Positionen schon ab 1940 nicht mehr. Unzählige Einberufungen zur Wehrmacht machen weitere Einschränkungen notwendig.
5. Unabkömmlich an der Heimatfront
Das Fotoalbum der Angestellten Anna B. zeigt die Vorteile einer Anstellung im Landhaus auf: materielle Sicherheit, berufliche Aufstiegschancen und Ablenkung vom Kriegsalltag. Ihre Erzählungen präsentieren das Landhaus als regelrechten Sehnsuchtsort.
Luftkrieg
1. Bombentreffer im Bereich des ostseitigen Luftschutzkellers im Dezember 1943, StAI
2. Totenbeschau-Befund für Luise Biasioli im Dezember 1943, StAI
3. Luise Biasioli, Angestellte im Landhaus, TLA
4. Filmaufnahmen zum Luftkriegsalltag in Innsbruck, TLM
5. Verabschiedung der Opfer des Bombenangriffs im Dezember 1943 am Landhausplatz, StAI
6. Plakat mit Durchhaltepropaganda 1944, herausgegeben im Gau Tirol-Vorarlberg, BA Berlin
1./2./3. Sterbeort Gauhaus
Der Luftkrieg bestimmt ab Mitte 1943 den Behördenalltag. Die baulichen Vorbereitungen im Landhaus sind unzureichend. Der folgenschwerste Angriff auf Innsbruck findet am 15. Dezember 1943 zur Mittagszeit statt. Im Landhaus gibt es etliche Verwundete. Mindestens sechs Mitarbeiterinnen verlieren ihr Leben.
4./5. Sirenengeheul und Bombentote
Die Filmaufnahmen zeigen unbeschwerte Alltagsszenen, flüchtende Menschen nach einem Fliegeralarm, zerstörte Gebäude und die Beisetzung der Toten. Die Trauerfeier findet am Landhausplatz statt. Jeder aufgebahrte Sarg ist mit einer Hakenkreuzflagge und einem Kranz bedeckt.
6. Durchhalten bis zum „Endsieg“
Bei der Trauerfeier am Landhausplatz stimmt Gauleiter Hofer die Innsbrucker Bevölkerung auf einen Kampf bis zum letzten Atemzug ein. Er beschwört eine „Gemeinschaft im Hassen, im Kampf und im letzten Einsatz“. In der Belegschaft herrscht große Angst, der die Gauleitung mit Härte begegnet. Eine Wache an den Ausgangstoren hindert die Bediensteten bei Luftangriffen am Verlassen des Gebäudes.
Verbrechen
1. Organisationsplan der Gauleitung im Organisationsbuch der NSDAP
2. Schreiben zur zwangsweisen Pensionierung Heinrich Giovanellis im Oktober 1938, TLA
3. Übergabeprotokoll geraubter Gegenstände aus dem Jesuitenkolleg im Dezember 1939, TLA
4. Schreiben zur Abrechnung eines „Krankentransports“ von Hall nach Linz im Jänner 1941 und seine Unterzeichner, Hans Czermak, Gustav Linert und Herbert Grosch, TLA
1. Verbrechen von oben und unten
Ausgehend vom Landhaus sichert ein vielschichtiger Verwaltungsapparat den Zugriff auf sämtliche Lebensbereiche. Die NS-Schreckensherrschaft erstreckt sich bis in die letzten Winkel. In Bezug auf die Verbrechen muss der Organisationsplan aber auch von unten nach oben gelesen werden. Häufig stehen am Beginn Anzeigen aus der Bevölkerung.
2. Verfolgung im eigenen Haus
Die Verfolgung von Menschen, die nicht in das NS-Weltbild passen, beginnt im Landhaus unmittelbar nach dem „Anschluss“. Etliche Spitzenbeamte der Ständestaat-Diktatur verlieren ihre Stelle und werden inhaftiert. Fünf Beamte der politischen Verwaltung werden als Juden verfolgt und entlassen. Zwei von ihnen arbeiten im Landhaus: Heinrich Giovanelli und Georg Heinsheimer.
3. Raubzug
Bei dem Raubzug gegen kirchliche Einrichtungen ist das Landhaus der organisatorische Umschlagplatz. Die Gauleitung verwahrt geraubtes Kloster- und Kircheninventar im Landhaustresor. Was nicht niet- und nagelfest ist, wird abtransportiert: Kultusgegenstände, Kanzleimaterial und private Wertsachen.
4. Schreibtischtäter
Angestellte im Landhaus wickeln die „Euthanasie“-Morde ab. Hauptverantwortlich ist Hans Czermak, der die Morde als Leiter des Gesundheits- und Fürsorgewesens in die Wege leitet. Gustav Linert und dessen Stellvertreter Herbert Grosch verwalten die Heil- und Pflegeanstalt Hall. Die Kostenabrechnung zeigt ihre bürokratische Beteiligung. Der Transport endet für alle PatientInnen mit der Ermordung in der Tötungsanstalt Hartheim.