16 Tage gegen Gewalt an Frauen: strukturelle Gewalt im Fokus

Kampagne „Gleiche Chancen für SIE.“ des Landes macht auf strukturelle Gewalt aufmerksam

  • Aktion „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ vom 25. November bis zum 10. Dezember
  • Strukturelle Gewalt als Ursache ungleicher Lebenschancen von Frauen und Männern
  • Beispiele aus dem Alltag zeigen Formen von struktureller Gewalt auf

Morgen, Samstag, startet wieder die weltweite Aktion „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“. Sie reicht vom Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November bis zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember. Pünktlich zum Start der diesjährigen „16 Tage gegen Gewalt“ lanciert das Land Tirol die Sensibilisierungskampagne „Gleiche Chancen für SIE. Gegen strukturelle Gewalt“. Heute, Freitag, wurde diese im Rahmen einer Pressekonferenz von Frauenlandesrätin Eva Pawlata vorgestellt. Im Fokus der Kampagne steht die strukturelle Gewalt. Diese Form der Gewalt geht nicht von einer bestimmten Person, sondern vielmehr vom gesamten Gesellschaftssystem aus. Sie äußert sich in ungleichen Machtverhältnissen und folglich ungleichen Lebenschancen von Frauen und Männern, jungen und alten Menschen, Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund oder unterschiedlichen Lebensformen. Sie passiert also vielfach im Alltag, ohne dass es viele Menschen bewusst wahrnehmen. Andrea Laske, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Tirol, und Sabine Platzer-Werlberger, Landesgeschäftsführerin des AMS Tirol, erleben in ihrer Arbeit die Auswirkungen struktureller Gewalt und gaben hierzu im Rahmen des Medientermins einen Einblick.

„Strukturelle Gewalt ist eine unsichtbare, aber umso wirkmächtigere Form von Gewalt, weil sie die Wurzel von Diskriminierung und anderen Formen von Gewalt darstellt. Strukturelle Gewalt bezieht sich auf gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Strukturen, die Menschen benachteiligen oder ausschließen. Dazu gehören etwa die ungleiche Verteilung von Einkommen und Ressourcen, ungleiche Zugänge zu Bildungs- und Berufswegen sowie geschlechtsspezifische Rollenbilder und Zuschreibungen. In patriarchalen Gesellschaften – also in Gesellschaften, in denen Männer traditionell eine dominierende Rolle spielen – sind von struktureller Gewalt vor allem Frauen und Mädchen betroffen. Sie stehen demnach im Zentrum der Kampagne ‚Gleiche Chancen für SIE.‘“, betont LRin Pawlata. Die direkte Ansprache mit „Sie“ soll aber auch andere Personen einschließen. „Der Fokus dieser Kampagne liegt auf Frauen. Gleichzeitig sensibilisiert sie für gleiche Chancen für alle Menschen, die in irgendeiner Form – sei es Alter, sexuelle Orientierung oder Herkunft – benachteiligt und diskriminiert werden“, erklärt die Landesrätin.

Strukturelle Gewalt begünstigt das Auftreten von Gewalt in Beziehungen

Wie strukturelle Gewalt mit häuslicher Gewalt zusammenhängt, erklärt GFin Laske vom Gewaltschutzzentrum Tirol: „Ungleiche Machtverhältnisse und ungleiche Möglichkeiten von Frauen und Männern schaffen einen Nährboden für Gewalt in Beziehungen. Viele unserer Klientinnen sind finanziell von ihren Partnern abhängig. Sie können es sich daher nicht leisten, sich von diesen zu trennen, da sie die Miete und den Lebensunterhalt nicht alleine finanzieren können. Dies wiederum liegt daran, dass sie in schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen oder in Teilzeit arbeiten. Diese Frauen bleiben dann oft über viele Jahre in gewaltvollen Beziehungen – teilweise mit ihren Kindern, die ebenso die häusliche Gewalt miterleben.“

Das Gewaltschutzzentrum Tirol ist eine von der Republik Österreich beauftragte Opferschutzeinrichtung. Die Mitarbeiterinnen beraten und unterstützen insbesondere Frauen und deren Kinder, die im häuslichen Bereich von Gewalt bedroht und betroffen sind. Im Jahr 2022 führte das Gewaltschutzzentrum Tirol insgesamt rund 6.300 Beratungsgespräche mit 1.650 Personen – über 80 Prozent davon waren Frauen. In diesem Jahr verzeichnet das Gewaltschutzzentrum Tirol mit Stand November 1.460 beratene Personen. Ein Großteil der Personen wird dem Gewaltschutzzentrum vonseiten der Polizei vermittelt. Im Jahr 2022 wurden der Einrichtung 1.060 Betretungs- bzw. Annährungsverbote in Tirol gemeldet.

Strukturelle Gewalt wirkt sich auf Arbeitsmarktsituation aus

Auch das AMS Tirol ist in seiner tagtäglichen Arbeit mit den Auswirkungen von strukturellen Benachteiligungen von Frauen konfrontiert, welche sich auf die gesamte Arbeitsmarktsituation auswirken, berichtet GFin Platzer-Werlberger: „Die Geschlechtersegregation bildet einen Nährboden für verschiedene Formen von Gewalt, die sich insbesondere in der ungleichen Verteilung von Lohn- uns Sorgearbeit manifestieren. So bleibt das traditionelle Bild des männlichen Ernährers in der Familie hartnäckig bestehen. In Tirol arbeitet jede zweite Frau in Teilzeit – bei den Männern dagegen nur jeder zehnte. Darüber hinaus erhalten Frauen beim AMS Tirol im Durchschnitt 250 Euro pro Monat weniger Arbeitslosengeld als Männer.“ Um Frauen die (finanzielle) Unabhängigkeit – und damit vielfach auch das Lösen aus Gewaltbeziehungen – zu ermöglichen, müsse daher die partnerschaftliche Aufteilung von Sorgearbeit vorangetrieben werden. Mit der Kampagne „Sorgende Männer“ startete das Land Tirol diesen Sommer bereits eine breit angelegte Offensive, um speziell Männer für Modelle der Freistellung zu sensibilisieren. Außerdem brauche es, so GFin Platzer-Werlberger, ein existenzsicherndes Einkommen sowohl in der Erwerbsarbeit als auch während Phasen der Arbeitslosigkeit, Krankheit oder in Krisensituationen.

Auf besondere Barrieren sowohl beim Eintritt in den Arbeitsmarkt wie auch bei der Berufsausbildung stoßen Frauen mit Migrationshintergrund und Frauen mit Behinderungen. Sie sind vielfach Mehrfachdiskriminierungen ausgesetzt. „Die Erwerbstätigenquote von Frauen mit Migrationshintergrund ist um zehn Prozent niedriger als jene von Frauen ohne Migrationshintergrund. Darüber hinaus verfügen über die Hälfte beider Gruppen beim AMS Tirol über keine höhere Schulbildung“, berichtet GFin Platzer-Werlberger.

„Zum Kaffeekochen wird es bei der noch reichen“

Die Sensibilisierungskampagne „Gleiche Chancen für SIE.“ will auf strukturelle Gewalt und deren Präsenz im Alltag aufmerksam machen. Hierfür werden – auch über den Aktionszeitraum der „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ hinaus – mittels Plakaten, Radiospots und auf Social Media plakative Beispiele aufgezeigt. So heißt es beispielsweise beim Radiospot „Zum Kaffeekochen wird es bei der noch reichen“ oder „Die stelle ich nicht ein, die wird sicher gleich schwanger“. Mehr Informationen zur Kampagne finden sich hier. Alle Hilfs- und Unterstützungsangebote für Frauen und Mädchen und für Personen, die von Gewalt bedroht oder betroffen sind, sowie deren Umfeld finden sich unter www.gewaltfrei-tirol.at.

„Um gegen strukturelle Gewalt vorzugehen, braucht es ein gemeinsames Engagement auf vielen Ebenen. Ein wichtiger erster Schritt hierbei ist Aufklärung und Bewusstseinsbildung. Auch jede und jeder Einzelne von uns kann dazu beitragen: Indem eigene Muster und Erwartungen, aber auch Privilegien selbstkritisch hinterfragt werden. Frauen und Mädchen können sich darüber hinaus dadurch stärken, dass sie sich in Gemeinschaften austauschen und vernetzen. So kann nicht nur die eigene Entwicklung gefördert, sondern auch mit vereinten Kräften für eine gleichberechtigte und inklusive Gesellschaft eingetreten werden“, so LRin Pawlata abschließend.