Ausgestaltung und Auslöschung
Die „Zwittersituation“ des Landhauses, das die Funktionen einer Parteizentrale, Gauverwaltung und zugleich Reichsstatthalterei in einem Ensemble vereint, tritt besonders in der Unterschiedlichkeit der Ausstattung hervor. Knüpft der Sitzungssaal in der Gestaltung an den „Reichskanzlei-Stil“ an, zeigt sich die Kanzlei Hofers in der Gestalt einer „Tiroler Stube“ als eine eigenwillige Maßnahme ohne Vorbild im NS-Kanon. Auch in der Ausstattung der Räumlichkeiten mit Kunstwerken folgt die Tiroler Gauleitung zwar dem durch das „Altreich“ vorgegebenen Kurs, sie konzentriert sich aber dennoch auf spezifische Tiroler Themen. Kanzler Biener auf dem Tiroler Landtag 1640 wird durch die Anbringung des Historiengemäldes von Karl Anrather im Sitzungssaal zum Nationalhelden stilisiert.
Die Auslöschung der NS-Zeichen, der Fahnen mit Hakenkreuzen an den Außenfassaden, des Reichsadlers an der Ostfassade und der offensichtlichen NS-Symbole und NS-Propagandabilder in den Innenräumen, erfolgt größtenteils auf Befehl der alliierten Besatzer unmittelbar nach der Kapitulation. Einzelne NS-Zeichen werden aber erst nach und nach entfernt.
Historiengemälde von Karl Anrather. Kanzler Biener als Nationalheld
1. Hermann Schmid, „Der Kanzler von Tirol“, 1863 (Berlin 1929)
1. Die Geschichte um den Tiroler Landtag 1640 und den Einsatz Kanzler Bieners gewinnt durch die nationalen Strömungen im 19. Jahrhundert an Aktualität. Hermann Schmid widmet dem „Kanzler von Tirol“ einen Historienroman, der 1863 erscheint und bis 1935 in mehreren Auflagen gedruckt wird.
„Claudia de Medici und Kanzler Biener auf dem Tiroler Landtag“ von Karl Anrather
Das Historienbild „Claudia de Medici und Kanzler Biener auf dem Tiroler Landtag“ von Karl Anrather entsteht 1890 und wird aufgrund seines großen Publikumserfolgs vom Tiroler Landesmuseum angekauft. Im Mittelpunkt des Gemäldes stehen die Landesfürstin Claudia de Medici und Kanzler Wilhelm Biener auf dem Landtag in Innsbruck 1640. Dargestellt wird die Eskalation eines andauernden Konflikts zwischen dem Tiroler Adel und den Bauernständen mit den katholischen Fürstbistümern Brixen und Trient, die ihre territoriale Eigenständigkeit und Steuerhoheit gegenüber der Tiroler Landesfürstin einfordern. Sie drohen mit einer Auflösung der Verbindung mit Tirol. Kanzler Biener hindert die Rebellen auf dem Landtag, den Saal zu verlassen, und ruft Soldaten zur Unterstützung. Bieners politischen Gegner erreichen unter dem Nachfolger der Landesfürstin 1650 seine Verhaftung und Hinrichtung. Der Kanzler Biener wird vor allem im 19. Jahrhundert für seinen Einsatz für das gesamtdeutsche Nationalbewusstsein gefeiert. Dem NS-Regime dient Biener als Personifikation der zu Kriegsende ausgegebenen Parole, bis zum letzten Mann zu kämpfen.
Reichskanzlei-Stil
1. Gemälde „Claudia de Medici und Kanzler Biener auf dem Tiroler Landtag“ im Appartement Hitlers im Hotel Tyrol 1938, Foto: Wilhelm Stigler, Archiv für Bau.Kunst.Geschichte
1. Anlässlich des Besuchs Adolf Hitlers im April 1938 in Innsbruck dient das Gemälde der Ausschmückung seines Appartements im Hotel Tyrol. Der Architekt Wilhelm Stigler ist für die Ausstattung des Hotels verantwortlich. Er nutzt die Gelegenheit, seine neuesten Möbelentwürfe zu präsentieren, und dokumentiert die Gesamtausstattung in einer Fotoserie
2. Ausstattung des Sitzungssaales der Gauleitung. Entwurf der Architekten Walter und Ewald Guth, Archiv für Bau.Kunst.Geschichte
2. Die Architekten Walter und Ewald Guth entwerfen für das Landhaus einen holzvertäfelten Sitzungssaal im für NS-Bauten typischen und repräsentativen Berliner „Reichskanzlei-Stil“. Da die Bauzeit bis zum Einzug der Gauleitung im Sommer 1939 knapp ist, wird der Saal zunächst nur verputzt und gestrichen. Ein Jahr später wird der Raum in veränderter Raumgestalt mit einer Holzvertäfelung in furnierter Eiche ausgestattet. Die Struktur der Vertäfelung orientiert sich am Format des Gemäldes „Claudia de Medici und Kanzler Biener auf dem Tiroler Landtag“. Hinter dem Gemälde bleibt die Holzverkleidung ausgespart. Durch die vorherige Präsentation in Hitlers Räumlichkeiten wird das Kunstwerk für den Sitzungssaal der Gauleitung als geeignet erachtet.
Auslöschung der NS-Zeichen
1. Kapitulationsunterzeichnung im Sitzungssaal des Landhauses, 5. Mai 1945. Im Hintergrund ist eine weiße Fläche über der Holzvertäfelung sichtbar, National Archives Washington
2. Entfernung von NS-Symbolen an der Holzdecke, Pescoller Werkstätten
3. Ostfassade des Landhauses mit Tiroler Wappen, Parteiadler und Vorarlberger Wappen, Entwurf von Albert Bermoser im August 1939, TLA
4. Geländer mit Hakenkreuzsymbolik, StAI
1. Die Kapitulationsunterzeichnung am 5. Mai 1945 durch Oberbefehlshaber der 19. Armee, General Erich Brandenberger, findet im Sitzungssaal statt. Die amerikanische Besatzungsmacht richtet ihren Stützpunkt im Landhauserweiterungsbau ein. Das Gemälde „Claudia de Medici und Kanzler Biener auf dem Tiroler Landtag“ wird im Zuge der Entfernung aller NS-Bilder und NS-Symbole abgehängt. Erst nach dem Einzug der Tiroler Landesregierung in das Landhaus ist die erneute Anbringung des Gemäldes im Jahr 1956 am heutigen Standort dokumentiert.
2. An der Decke des Sitzungssaales schmücken Intarsien in Form von Zahnrädern die Aufhängungspunkte der großen Luster. Zusammen mit dem Hakenkreuz ist das Zahnrad das Emblem der größten NS-Massenorganisation Deutsche Arbeitsfront (DAF). Bei Restaurierungsarbeiten im Januar 2023 werden in den Rahmen der Kassettendecke ausgeschnittene Fehlstellen entdeckt, die mit furnierten Platten verkleidet sind. Es ist zu vermuten, dass an den betreffenden Stellen Hakenkreuze entfernt wurden.
3./4. An der Ostfassade des Landhauses finden sich die Wappen der Bundesländer Tirol und Vorarlberg. Sie zeugen vom Zusammenschluss der beiden Bundesländer während der NS-Zeit zu einem Gau. Die Leerstelle zwischen den beiden Wappen besetzte bis Mitte Juli 1945 ein Parteiadler.
Im Zuge der Errichtung des Befreiungsdenkmals 1947/48 werden die Hakenkreuzelemente der eisernen Balkon- und Fenstergeländer entfernt.