Von der Befreiung zur Verleugnung
Die offizielle Kapitulation der lokalen Wehrmachtstruppen findet am 5. Mai 1945 statt. Die US-amerikanischen Befreier besiegeln das Ende der Kampfhandlungen im Sitzungssaal des Gauleiters. Im Neuen Landhaus richten die Besatzungsmächte ihren Stützpunkt ein. Die französische Militärregierung setzt der symbolischen Wirkung des Täterbaus bewusst das Befreiungsdenkmal entgegen. Die Tiroler Politik schenkt der Bedeutung des ehemaligen Gauhauses jahrzehntelang keine Aufmerksamkeit. Das Alte Landhaus stellt sie als Hort der Demokratie und des Widerstands gegen das NS-Regime dar.
Das NS-Erbe dominiert den Arbeitsalltag im Landhaus. Die kriminelle Entstehung des Gebäudes stellt die Landesregierung in Abrede. Sie profitiert von der enormen Raumerweiterung und verteidigt das Vorgehen der Tiroler NS-Führung. Im gleichen Sinn entscheidet sie die Frage der Entnazifizierung: Ehemalige NSDAP-Mitglieder haben keine Nachteile zu befürchten. Führende NS-Größen müssen sich vor dem Volksgericht verantworten. Sie stehlen sich aus der Verantwortung und sind sich keiner Schuld bewusst.
Kapitulation
1. Filmaufnahmen der Befreiung Innsbrucks und der Kapitulationsunterzeichnung in diesem Raum, NARA Washington
1. „Schnaps, flowers and cheers“
Jubelnde Menschen bereiten den US-amerikanischen Befreiern am 3. Mai 1945 einen begeisterten Empfang. Die Innsbrucker Bevölkerung schenkt den Truppen Schnaps, Blumen und Beifall. Die Kapitulationsunterzeichnung der lokalen Wehrmachtstruppen findet zwei Tage später im ehemaligen Zentrum des NS-Apparats im Sitzungssaal statt.
Bedeutung
1. Eingangsbereich des Alten Landhauses 1945, StAI
2. Belegungsschein für das Neue Landhaus im August 1948, TLA
3. Die Fahnen Österreichs und der Besatzungsmächte am Neuen Landhaus nach 1948, StAI
4. Kundgebung zur Befreiung Österreichs im Mai 1946 vor dem Alten Landhaus, TLA
5. Gedenktafel für Franz Mair im Mai 1946 am Alten Landhaus, TLA
6. Befreiungsdenkmal im Zuge der Bauarbeiten 1947/48, StAI
1./2./3. Raumfrage
Die Besatzungsmächte richten ihren Stützpunkt im ehemaligen Gauhaus ein. Ihr Raumbedarf ist enorm und hat eine verheerende Bürosituation der Tiroler Behörden zur Folge. Im Dezember 1945 nimmt die französische Militärregierung 30 Büros des Alten Landhauses, 25 Räume des Taxispalais und nahezu das gesamte Neue Landhaus in Anspruch.
4./5. „Siebenjährige Unterdrückung“
Schon im Juni 1945 finden sich in den Akten neue Bezeichnungen für die Verwaltungsgebäude: Die Begriffe des Alten und Neuen Landhauses setzen unter die NS-Vergangenheit einen Schlussstrich. Die Tiroler Politik positioniert das Alte Landhaus als Symbol der Befreiung und des Widerstands. Der gefallene Widerstandskämpfer Franz Mair gibt der verklärten Opferrolle Tirols ein Gesicht.
6. Den für die Freiheit Österreichs Gestorbenen
Durch das Befreiungsdenkmal am Landhausplatz will die französische Militärregierung dem NS-Täterbau eine steingewordene Mahnung gegenüberstellen. Die monumentale Architektur des Gebäudes kommt jetzt vollends zur Geltung. Es gibt keine offizielle Einweihung des Denkmals. Im Volksmund gilt es abschätzig als „Franzosen-“ oder „Siegesdenkmal“.
NS-Erbe
1. Meldung der Sicherheitsdirektion an die Präsidialabteilung im Juli 1945, TLA
2. Polizeipräsidium Innsbruck an den Sicherheitsdirektor für Tirol im September 1945, TLA
3. „Hungerdemonstration“ vor dem Alten Landhaus im November 1946, TLA
4. Erkennungsdienstliche Aufnahmen der Polizeidirektion Innsbruck von Werner Hilliges und Max Nedwed 1948, CADLC
5. Ergänzter Plan der Neugestaltung als Beweismittel des Landes in einem Rückgabeverfahren 1948, TLA
6. Übergabeprotokoll zu kirchlichen Wertgegenständen im Jänner 1958, TLA
1./2. „Noch lange nicht tot“
Anlässe, sich mit der NS-Vergangenheit des Gebäudes auseinanderzusetzen, gibt es 1945 genug. Der Parteiadler an der Ostfassade und die Panzerfaust werden entfernt. Doch wie wird die NS-Gesinnung ausgelöscht? Adele Obermayr, SPÖ-Landtagsabgeordnete und Überlebende des KZ Ravensbrück, meint im Oktoberlandtag 1945, dass der Nationalsozialismus „noch lange nicht tot“ ist.
3. Bittere Not
Das NS-Erbe bedeutet in den ersten Jahren nach Kriegsende Chaos, Hunger, Wohnungsnot und Entbehrungen. Menschen gehen auf die Straße und machen ihrem Unmut Luft. Für die DemonstrantInnen sitzen im Landhaus immer noch die gleichen „Nazi-Bonzen“. Tatsächlich sind ehemalige Nationalsozialisten bis in die obersten Ämter anzutreffen.
4. Reichenau-Prozess im Parissaal
Im Dezember 1948 startet der „Reichenau-Prozess“ im Parissaal. Mit Werner Hilliges und Max Nedwed sitzen die ehemaligen Gestapochefs auf der Anklagebank. Mit fünf weiteren Angeklagten haben sie sich wegen Verbrechen im Lager Reichenau zu verantworten. Dort folterten und mordeten sie bis zuletzt. Im kollektiven Gedächtnis ist der Prozess bis heute nicht verankert.
5. Verleugnung
Der Ankauf privater Gebäude mithilfe „arisierter“ Immobilien hat ein Nachspiel. Die rechtmäßigen jüdischen BesitzerInnen erhalten die Tauschobjekte zurück. Im Gegenzug müsste das Land die angekauften Wohnhäuser zurückgeben. Doch es verteidigt das kriminelle Vorgehen der Gauleitung. Das Gauzentrum sei an anderer Stelle geplant gewesen, argumentiert das Land mithilfe der Karte.
6. Vom Übernehmer zum Übergeber
Das kirchliche Beutegut, das nicht verschrottet wurde, gibt das Land gemächlich zurück. Die letzte Rückgabe an das Stift Wilten findet erst im Jänner 1958 statt. Ausgerechnet Alexander Moschen ist damit betraut, er hat das Raubgut einige Jahre zuvor übernommen.
Entnazifizierung
1. Karikatur zur Entnazifizierung in Innsbruck auf einem Wahlplakat 1945, TLA
2. Personalbericht des SS-Oberscharführers Heinrich Mandlez aus dem Jahr 1939, Archiv der LPD Tirol
3. Aktenvermerk zur Ausforschung, Festnehmung und Einlieferung des Heinrich Mandlez im April 1950, Archiv der LPD Tirol
4. Befürwortung des Gnadengesuchs von Heinrich Mandlez durch Landeshauptmann Alfons Weißgatterer im Oktober 1950, TLA
5. Einstellung der Voruntersuchung im Fall Mandlez im Mai 1954, TLA
6. Aussage von Heinrich Mandlez in seinen verschriftlichten Erinnerungen aus den 1980er-Jahren, TLA
7. Karikatur zu den Nürnberger Prozessen 1946, Neues Österreich
1. „Von Braun auf Schwarz“
Die Tiroler Landesregierung ist gegen ein strenges Vorgehen bei der Entnazifizierung. Der erste gewählte Landeshauptmann Alfons Weißgatterer gibt die Richtung vor. Er ist selbst ehemaliges NSDAP-Mitglied, beteiligt sich aber später am Widerstand. Die Mehrheit unterstützt seinen Zugang. Es gibt jedoch auch Kritik. Die Karikatur macht aus der ÖVP die Österreichische Verwandlungspartei.
2./3./4./5./6. „Bis zur letzten Stunde“
Die Entnazifizierung folgt häufig demselben Muster. Heinrich Mandlez ist SS-Mitglied und arbeitet als Geschäftsstellenleiter im Landhaus. Nach dem Krieg taucht er unter. Er wird zur Verhaftung ausgeschrieben, doch es kommt zu keiner Anklage. Wie viele andere kann er einen von Landeshauptmann Weißgatterer ausgestellten „Persilschein“ vorweisen. Bis ins hohe Alter ist er davon überzeugt, in der NS-Zeit für die richtige Sache gekämpft zu haben.
7. „Er hat’s mir doch befohlen“
Hohe NS-Funktionäre müssen sich vor einem Volksgericht verantworten. Ihre Verteidigungsstrategie ist immer dieselbe. Sie stellen sich als bloße Befehlsempfänger dar und weisen jegliche Verantwortung von sich. Gauleiter-Stellvertreter Herbert Parson erläutert seine Machtbefugnis mit einem angeblichen Zitat Hofers: „Parson hat alles zu wissen, nichts zu entscheiden.“