Von der Demokratie zur Diktatur
Wie zerbrechlich Demokratie ist, zeigen die politischen Entwicklungen der Ersten Republik. Krisen und Radikalisierung erschüttern den politischen Alltag. Der Zusammenbruch der New Yorker Börse im Oktober 1929 entfacht einen Flächenbrand. Massenarbeitslosigkeit und soziales Elend befeuern die Schuldzuweisungen gegen die Demokratie. Im Schatten der großen Wirtschaftskrise gewinnen autoritäre Strömungen an Einfluss. Die Sehnsucht nach einem Führer, der schnelle Lösungen verspricht, ist groß.
Österreichs Demokratie zerbricht 1933. Unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß errichten die Christlichsozialen die Ständestaat-Diktatur. Die Sozialdemokratie wird durch die Februarkämpfe 1934 ausgeschaltet. Der autoritäre Ständestaat überzeugt aber zu wenige Menschen vom österreichischen Weg. Die NS-Bewegung gewinnt im Untergrund an Stärke. Österreichs Inbesitznahme durch die Nationalsozialisten erfolgt im März 1938 ohne Gegenwehr. Begeistert begrüßt ein Großteil der Österreicherinnen und Österreicher die einmarschierenden deutschen Truppen. Hitler besucht Innsbruck einen Monat später, die Tirolerinnen und Tiroler bereiten ihm einen euphorischen Empfang.
Auf dem Weg zum Zentrum der Macht
Kriminelle Rahmenbedingungen machen die Erweiterung des Landhauses zu einem Erfolgsprojekt. Die Gauleitung hält gesetzliche Vorschriften zum Bauverfahren nur auf dem Papier ein. Ausschließlich Firmen mit NS-Bezug stampfen das Gebäude in kurzer Zeit aus dem Boden. Nach nur einem Jahr Bauzeit beziehen die Parteidienststellen nach und nach ihre Büros. Propaganda und Realität driften spätestens nach der Firstfeier im Mai 1939 auseinander. Während die Berichterstattung vom „Stolz und Wahrzeichen der Gauhauptstadt“ spricht, hält die außertirolische Parteispitze den Bau für völlig misslungen. Sie untersagt die Bezeichnung des Gebäudes als „Gauhaus“.
Die Gauleitung plant zusätzlich den Ankauf sämtlicher Wohnhäuser im Landhauskomplex. Es soll ein geschlossener Machtkomplex entstehen. Das gesamte Projekt fußt in verbrecherischen Vorgängen. Die Finanzierung erfolgt durch einen Raubzug gegen kirchliche Einrichtungen. Den Ankauf der Wohnhäuser macht nur die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung möglich. Die Gauleitung bietet den Besitzerinnen und Besitzern neben einer finanziellen Abgeltung günstige „arisierte“ Tauschobjekte an.
Alltag im Krisenmodus
Bis auf wenige Ausnahmen sind sämtliche Dienststellen der Partei und des Staates im Landhauskomplex untergebracht. Die verdichtete Nutzung ermöglicht eine umfassende Kontrolle der Abteilungen und des Personals. Im Gebäude befinden sich nicht nur Büros. Eine Kantine, eine Kinoleinwand, ein Schießkeller und sogar ein Friseur stehen den Angestellten zur Verfügung. Eine Anstellung im Landhaus bringt Aufstiegschancen und Vorteile mit sich, die aber teuer bezahlt werden.
Andauernde Überlastung, umfassende Überwachung und drohende Luftangriffe verlangen dem Personal alles ab. Bis Kriegsende zwingen die NS-Machthaber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit allen Mitteln zur Erfüllung ihrer Pflicht. Der Landhauskomplex ist die Schaltzentrale der Verbrechen. Sie werden zum einen an den Schreibtischen der NS-Funktionäre und der Beamtenschaft organisiert und abgewickelt. Zum anderen dient das Gebäude als Anlaufstelle für Verrat und Verleumdung. Viel zu viele setzen das NS-Weltbild in blinder Pflichterfüllung und vorauseilendem Gehorsam bis zum Schluss um.
Von der Befreiung zur Verleugnung
Die offizielle Kapitulation der lokalen Wehrmachtstruppen findet am 5. Mai 1945 statt. Die US-amerikanischen Befreier besiegeln das Ende der Kampfhandlungen im Sitzungssaal des Gauleiters. Im Neuen Landhaus richten die Besatzungsmächte ihren Stützpunkt ein. Die französische Militärregierung setzt der symbolischen Wirkung des Täterbaus bewusst das Befreiungsdenkmal entgegen. Die Tiroler Politik schenkt der Bedeutung des ehemaligen Gauhauses jahrzehntelang keine Aufmerksamkeit. Das Alte Landhaus stellt sie als Hort der Demokratie und des Widerstands gegen das NS-Regime dar.
Das NS-Erbe dominiert den Arbeitsalltag im Landhaus. Die kriminelle Entstehung des Gebäudes stellt die Landesregierung in Abrede. Sie profitiert von der enormen Raumerweiterung und verteidigt das Vorgehen der Tiroler NS-Führung. Im gleichen Sinn entscheidet sie die Frage der Entnazifizierung: Ehemalige NSDAP-Mitglieder haben keine Nachteile zu befürchten. Führende NS-Größen müssen sich vor dem Volksgericht verantworten. Sie stehlen sich aus der Verantwortung und sind sich keiner Schuld bewusst.
Wege der Aufarbeitung
Eine breitere wissenschaftliche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit setzt in Österreich in den 1980er-Jahren ein. Die Tiroler Landesregierung übernimmt dabei lange keine aktive Rolle. „Ein klares politisches Bekenntnis zur Erforschung dieses im doppelten Sinne ‚dunklen‘ Kapitels der Landesgeschichte fehlt bis heute“, stellt der Historiker Thomas Albrich um die Jahrtausendwende fest. Noch 2004 lehnt die Landesregierung einen Antrag zur finanziellen Unterstützung der NS-Forschung ab.
Nach mehreren öffentlichen Debatten und der Einrichtung des Förderschwerpunktes Erinnerungskultur wird seit den 2010er-Jahren auf Initiative des Landtags und der Landesregierung die Erforschung des Nationalsozialismus gefördert. Ein bedeutender erinnerungspolitischer Schritt erfolgt ab 2011 mit der Umgestaltung des Eduard-Wallnöfer-Platzes zum zentralen Ort der Erinnerung an den Nationalsozialismus in Tirol. 2018 installiert die Landesregierung eine Expertenkommission zur Erforschung der NS-Hintergründe des Neuen Landhauses. Die Publikation „Vom Gauhaus zum Landhaus. Ein Tiroler NS-Bau und seine Geschichte“ stellt die Ergebnisse 2021 vor.
Leben und Arbeiten in der NS-Diktatur
Viele Einzelne unterstützen die NS-Diktatur und gewinnen dadurch Vorteile. Führungskräfte zeigen oft besonderen Einsatz. Andere sind gleichgültig oder schauen weg. Das Wissen um die Verbrechen verbreitet sich schnell. Trotzdem helfen nur wenige Menschen den Verfolgten. Die Angestellten im Landhaus halten den NS-Apparat am Laufen. Die verbrecherischen Vorgänge bleiben ihnen nicht verborgen.
Die in diesem Raum präsentierten Menschengeschichten – von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landes erzählt – machen den Nationalsozialismus als System, das keine Unbeteiligten kennt, greifbar. Sie sensibilisieren dafür, dass sich unser Tun und Handeln auswirkt. Sie erinnern uns daran, wie zerbrechlich unser demokratisches Zusammenleben ist.