15. Tiroler Integrationsenquete: Erwachsenwerden im Kontext von Migration

Vorträge und Diskussionen rund um die Herausforderungen des Erwachsenwerdens für junge Menschen mit Migrationsbiografie

  • Gemeinsame Veranstaltung von Land Tirol, Stadt Innsbruck, Haus der Begegnung und Tiroler Integrationsforum

Erwachsenwerden ist nie einfach – junge Menschen müssen ihren Platz in der Gesellschaft finden, ihre Zukunft gestalten und mit den Erwartungen von Familie, Schule und Umfeld umgehen. Für Jugendliche mit Migrationsbiografie ist dieser Weg oft noch komplexer: Sie bewegen sich zwischen unterschiedlichen kulturellen Bezugspunkten, begegnen sprachlichen Hürden oder Ausgrenzung – und müssen dabei Brücken bauen zwischen familiären Traditionen und den Anforderungen der Gesellschaft.

Genau diesen Herausforderungen widmete sich die 15. Tiroler Integrationsenquete. Sie fand gestern, Donnerstag, unter dem Titel „Erwachsenwerden im Kontext von Migration“, im Landhaus in Innsbruck statt und ist eine gemeinsame Veranstaltung von Land Tirol, Stadt Innsbruck, Haus der Begegnung und Tiroler Integrationsforum. In Vorträgen und Diskussionen beleuchteten die Teilnehmenden entwicklungspsychologische, gesellschaftliche und soziale Aspekte des Erwachsenwerdens junger Menschen mit Migrationshintergrund.

Deutlich wurde: Jugendliche mit Migrationsbiografie stehen oft vor anderen Hürden als Gleichaltrige ohne Migrationserfahrung – nicht wegen persönlicher Defizite, sondern aufgrund struktureller und gesellschaftlicher Bedingungen.

Unterschiede erkennen – Vielfalt und Chancengleichheit fördern

„Junge Menschen mit Migrationsgeschichte leben oft zwischen den Welten – und gleichzeitig in beiden. Das ist für die eigene Identitätsbildung herausfordernd, kann aber auch unglaubliche Stärke sein. Als Land Tirol wollen wir genau diese Stärke sichtbar machen, indem wir Rahmenbedingungen schaffen, die allen jungen Menschen faire Chancen eröffnen – unabhängig davon, wo sie oder ihre Eltern geboren sind. Dazu gehören Zugang zu Bildung, psychosoziale Unterstützung sowie die Stärkung von Vereinen, Jugendarbeit und Integrationsinitiativen“, erklärt Integrationsreferent LHStv Philip Wohlgemuth, dass es vor allem darauf ankommt, jungen Menschen zuzuhören und ihnen zugleich eine Stimme zu geben sowie Perspektiven zu eröffnen.

Janine Bex, Stadträtin für Integration der Stadt Innsbruck, ergänzt: „Chancengleichheit beginnt dort, wo wir Menschen nicht nach ihrer Herkunft bewerten, sondern ihr Potenzial sehen. Bildung ist dabei der Schlüssel – und gegenseitige Bestärkung unsere Aufgabe. Gerade jetzt ist es wichtiger denn je, Räume zu schaffen, in denen alle die gleichen Möglichkeiten erhalten, ihren Weg zu gehen.“ 

Psychosoziale Folgen und gesellschaftliche Zuschreibungen

Welche Rolle spielen gesellschaftliche Rahmenbedingungen für das Aufwachsen und für Eltern-Kind-Beziehungen? Wie prägen Erfahrungen Biografien und schreiben sie sich über Generationen fort? Fragen wie diese zu psychosozialen Folgen von Migration standen im Mittelpunkt des Vortrags von Vera King, Professorin für Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie an der an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Die geschäftsführende Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts verdeutlichte anhand von Fallbeispielen die Herausforderungen für junge Menschen mit Migrationsbiographie. Ihr Fazit: Erwachsenwerden im Kontext von Migration bedeutet, sich in mehreren Bezugssystemen gleichzeitig zurechtzufinden – eine Herausforderung, aber auch eine Chance zur Selbstermächtigung.

Melisa Erkurt, Journalistin, Autorin und ehemalige Lehrerin, widmete sich in ihrem Vortrag der Frage, wie Jugendliche mit Migrationsbiografie in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Sie wies auf die nach wie vor bestehenden stereotypen Zuschreibungen hin und thematisierte insbesondere die stigmatisierende Darstellung junger Männer im öffentlichen Diskurs. Viele dieser Jugendlichen würden sich – so Erkurt – zunehmend in digitale Räume zurückziehen, in denen sie häufig mit problematischen oder radikalisierenden Inhalten konfrontiert seien, darunter Hass, Sexismus, Queerfeindlichkeit oder Verschwörungstheorien. Erkurt betonte daher die Bedeutung von positiven und sicheren Begegnungsräumen – online wie offline –, in denen junge Menschen ihre Perspektiven einbringen und gehört werden können.

Lebensrealitäten in Tirol: Perspektiven aus Praxis und Wissenschaft 

Nach dem fachlichen Input widmeten sich die Teilnehmenden der 15. Integrationsenquete am Nachmittag den konkreten Lebensrealitäten, Perspektiven und Herausforderungen beim Erwachsenwerden in Tirol. Inputs gab es dabei von Elfi Oblasser vom Verein Z6, Anita Rotter von der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Innsbruck, JugendarbeiterInnen des Vereines komm!unity und dem Sozial- und Kulturarbeiter Maurice Kumar. Im Mittelpunkt standen dabei Themen wie Bildungsgerechtigkeit, psychosoziale Belastungen, kulturelle Zugehörigkeit und die Bedeutung niederschwelliger Jugendarbeit.