Integrationsenquete begibt sich auf die Suche nach „Heimat“

11. Tiroler Integrationsenquete zum Thema „Auf der Suche nach Heimat – Nostalgisch? Exklusiv? Zukunftsfähig?“

  • Integrationsleitbild definiert Integration als eine gemeinsame Aufgabe aller Menschen, die in Tirol leben
  • Gemeinsame Gestaltung des Zusammenlebens sowie das Stärken von Zugehörigkeit und Gemeinwohl im Fokus

Schlägt man in der Brockhaus-Enzyklopädie nach, so wird „Heimat“ im allgemeinen – veralteten – Sprachgebrauch beschrieben als ein Ort, „in den der Mensch hineingeboren wird, wo er die frühen Sozialisationserlebnisse hat, die weithin Identität, Charakter, Mentalität, Einstellungen und schließlich auch Weltauffassungen prägen“. Der Autor Max Frisch hingegen definiert Heimat als „die Menschen, die wir verstehen und die uns verstehen“. Das Wort „Heimat“ weckt Emotionen, schafft Zugehörigkeit und Gemeinsamkeit, kann aber ebenso ausgrenzen und polarisieren.

Aus diesem Grund wurde der Terminus „Heimat“ in der 11. Tiroler Integrationsenquete in den Fokus gerückt und unter verschiedensten Aspekten beleuchtet. Da das Verständnis von Heimat alle Menschen in Tirol umfasst, muss dies auch neu diskutiert werden: Für die einen ist Tirol die einzige Heimat, für die anderen die zweite – oder „andere“ – Heimat. Diese verschiedenen Perspektiven wurden bei der Integrationsenquete von Vortragenden aus Kulturwissenschaft, Geschichte, Ethnologie sowie Journalismus und Kunst, lange ansässigen Personen ebenso wie von neu zugewanderten Menschen diskutiert.

Ergebnis der Referate und Diskussionen der Enquete: „Heimat“ hat keinen territorialen Bezug, sondern ist ein sehr persönliches Empfinden, geprägt durch emotionale und sinnliche Eindrücke wie Gerüche oder Essen. Die zweite Ebene des Begriffs ist die gesellschaftliche, die sowohl über materielle Merkmale definiert ist, als auch die politische Dimension in einer großen Bandbreite darstellt: Heimat wird als Besitzanspruch gegenüber „Fremden“ herangezogen – diese können aus dem Ausland oder dem Nachbardorf kommen –, um Schutz und Sicherheit vor Veränderung zu garantieren. Obwohl die Menschheitsgeschichte von Mobilität und Migration geprägt ist, beschreibt das Ideal der Heimat das Sesshafte, jedoch nicht als idyllisches, romantisches Bild, sondern als Ort der Rechte und Pflichten. Durch Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus wird das Finden einer Heimat verhindert, daher darf Heimat nicht exklusiv gedacht werden, sondern Kooperation und Toleranz müssen im Vordergrund stehen.

„Vor zwei Jahrzehnten wurde der Bereich Integration in der Tiroler Landesverwaltung eingerichtet. Damals – im Jahr 2001 – wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, das Definieren von ‚Heimat‘ ins Zentrum einer Enquete zu stellen. Die aktuelle Themenwahl zeigt aber, dass sich die Sichtweise auf Integration – und damit auf die Integrationsarbeit – in den vergangenen 20 Jahren gewandelt haben: Lag das Augenmerk damals noch auf der Unterstützung zugewanderter Menschen in ‚unsere‘ Gesellschaft, so geht es heute um die gemeinsame Gestaltung unseres Zusammenlebens, um das Stärken von Zugehörigkeit und Gemeinwohl“, betont Integrationslandesrätin Gabriele Fischer und verweist in diesem Zusammenhang auf das 2019 überarbeitete Integrationsleitbild: „Das Leitbild ‚Gemeinwohl und Zugehörigkeit stärken‘ definiert Integration als eine gemeinsame Aufgabe aller Menschen, die in Tirol leben, und bezieht auch die länger ansässige Bevölkerung mit ein. Den meisten Menschen ist bewusst, dass die Frage der Gestaltung des Zusammenlebens – die Gestaltung unserer ‚Heimat‘ zentral für eine gute Zukunft ist.“

„Heimat ist ein vielfältiger Begriff, der meistens mit einem Gefühl der Geborgenheit oder der Sehnsucht verknüpft ist. Heimat kann an einen Ort gebunden sein oder an mehrere, genauso und vielleicht noch wesentlicher an Familie, an Menschen, die einem lieb sind, und an Freundschaft. Heimat nicht verengt als Herkunftsnachweis zu sehen, sondern sie als Vielfalt und als Plural aufzufassen, als Möglichkeit für alle, die in unserem Land und in unserer Stadt leben, dazuzugehören, Teil der Gemeinschaft zu sein und diese auch mitgestalten zu können: bei der Bildung wie in der Arbeit, beim Sportverein genauso wie im Stadtteiltreff – das ist der Weg, der im Integrationsleitbild mit dem Begriff der Zugehörigkeit beschrieben ist und den wir in unserer konkreten politischen Arbeit in der Stadt ganz bewusst weitergehen wollen“, erklärt die für Integration zuständige Innsbrucker Stadträtin Elisabeth Mayr.

Heimatbegriff aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet

So sieht der freie Schriftsteller, Essayist und Publizist Christian Schüle die drängendsten Probleme der heutigen Zeit im Begriff „Heimat“ beinhaltet: Herkunft, Flucht, Bleiberecht, Solidarität und das Streben nach Zugehörigkeit, Schutz und Sicherheit. Für ihn bietet die Auseinandersetzung mit dem Heimatbegriff die Chance eines dynamischen kulturellen Prozesses, der aufzeigt, wie Integration denkbar und möglich wird, ohne die Sehnsucht nach Geborgenheit und Überlieferung, nach kultureller Verwurzelung aufgeben zu müssen. Simone Egger, Kulturwissenschaftlerin und Postdoc-Assistentin an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, ist überzeugt, dass Dynamiken des Eingrenzens und des Ausgrenzens das Zusammenleben und Identitäten prägen und Zugehörigkeiten immer neu verhandelt werden müssen.

Impulsreferate lieferten Denkanstöße und befassten sich mit dem Heimatbegriff im Museum, den historischen Wandlungen und neuen Ansätzen in der Bedeutung von Heimat sowie der Gegenüberstellung der Definition von Heimat und Vaterland. Persönliche Einblicke und Sichtweisen, was Heimat individuell bedeutet und wie man sich in mehreren Welten zuhause fühlen kann, rundeten die thematische Bandbreite der Enquete ab.