Menschen in Krisen verstehen und begleiten

Über 100 Fachkräfte bei zweiter Plattform Psychosoziale Versorgung Tirol im Landhaus

  • Tagung zeigte auf: Im Mittelpunkt soll der Mensch stehen – nicht die Krankheit
  • Fachvorträge zu Gewalt, Recovery und Resilienz
  • Gemeinsames World-Café für Praxisreflexion und Vernetzung

Wie kann Menschen in krisenhaften Lebenssituationen bestmöglich begegnet werden? Diese Frage stand im Mittelpunkt der zweiten Plattform Psychosoziale Versorgung Tirol, die gestern, Mittwoch, im Landhaus in Innsbruck stattfand. Über 100 Fachkräfte aus Einrichtungen der psychosozialen Hilfelandschaft in Tirol nahmen daran teil. Eingeladen hatte der Beirat für psychosoziale Versorgung Tirol, dessen Geschäftsstelle in der Abteilung Inklusion und Kinder- und Jugendhilfe des Landes Tirol angesiedelt ist. Anhand von ExpertInnenvorträgen setzten sich die TeilnehmerInnen mit den Themen Gewalt, Recovery und Resilienz auseinander. Im Anschluss stand bei einem World-Café die gemeinsame Reflexion und Vernetzung im Vordergrund. Die psychosoziale Begleitung und Unterstützung, so waren sich die TeilnehmerInnen einig, soll den Menschen mit seinen Stärken und Lebenszielen sowie in seiner Selbstbestimmung in den Mittelpunkt stellen – nicht die bloße Symptomfreiheit. Sie soll auf Würde, Hoffnung und Gleichberechtigung gründen. Zugleich wurde betont, wie wichtig es ist, psychische Erkrankungen weiter zu entstigmatisieren und die gesellschaftliche Teilhabe von Betroffenen zu fördern.

„Fast jeder Mensch gerät im Laufe seines Lebens einmal in eine Krise. In solchen Momenten wird deutlich, wie wichtig ein unterstützendes Umfeld und ein professionelles psychosoziales Netz sind. In Tirol wird dieses von zahlreichen engagierten Fachkräften getragen, die Menschen in schwierigen Situationen begleiten. Es ist unsere Aufgabe, diese Arbeit durch Vernetzung, Weiterbildung und gute Rahmenbedingungen zu stärken“, betont Landesrätin Eva Pawlata.

„Psychische Gesundheit nimmt in unserer Versorgungslandschaft einen immer wichtigeren Stellenwert ein. Die Plattform Psychosoziale Versorgung Tirol stärkt hier beispielhaft die Zusammenarbeit zwischen Medizin, Psychologie und Sozialarbeit – damit Menschen in Krisen schnell, professionell und wohnortnah Unterstützung erhalten“, ergänzt Gesundheitslandesrätin Cornelia Hagele

Impulse aus Wissenschaft und Praxis

In drei Impulsvorträgen wurden unterschiedliche Facetten des Themas „Krise“ beleuchtet – von der Entstehung zwischenmenschlicher Gewalt über recovery-orientierte Zugänge bis hin zu traumasensiblen Unterstützungsstrategien.

Klaus Kapelari, ärztliche Leitung des Kompetenzzentrums - Gewaltambulanz, zeigte auf, dass Gewalt häufig dort entsteht, wo Beziehungen von Abhängigkeit, Nähe und Verletzlichkeit geprägt sind, und stellte das breite Unterstützungsangebot des neuen Kompetenzzentrums vor. Dieses bietet Betroffenen medizinische Untersuchungen – einschließlich Fotodokumentation – sowie psychologische Krisenbegleitung.

Martin Kurz, ärztliche Leitung der Psychiatrie und psychotherapeutischen Medizin am Krankenhaus St. Vinzenz Zams, präsentierte Recovery als ethische Haltung, die nicht die Krankheit, sondern den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Recovery-orientierte Ansätze setzen auf Vertrauen statt Kontrolle und auf Kooperation statt Übergriff.

Barbara Juen, Leitung der Arbeitsgruppe Notfallpsychologie und Psychotraumatologie an der Universität Innsbruck, gab Einblicke in psychologische Mechanismen von Traumatisierung und zugleich in traumasensibles Handeln – eine achtsame Haltung im Umgang mit Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben. Sie kann Resilienz fördern und Betroffene nachhaltig stärken.

Plattform für gemeinsame Perspektiven

Die Plattform Psychosoziale Versorgung Tirol fand erstmals 2023 statt und wird alle zwei Jahre durchgeführt. Ziel ist es, Fachkräften die Möglichkeit zu bieten, aktuelle Entwicklungen zu diskutieren und gemeinsam Perspektiven für die psychosoziale Versorgung in Tirol zu gestalten. So soll etwa eine recovery-orientierte Haltung noch stärker im Berufsalltag verankert und über die Fachgrenzen hinweg gemeinsam weiterentwickelt werden. Der Beirat für psychosoziale Versorgung unter Vorsitz von Abteilungsvorständin Katharina Schuierer-Aigner berät die Tiroler Landesregierung und den Tiroler Gesundheitsfonds in Fragen der psychiatrischen und der psychosozialen Gesundheit und brachte bereits zahlreiche Projekte auf den Weg – zuletzt den Bedarfs- und Entwicklungsplan (BEP) für die psychosoziale Versorgung in Tirol 2025-2035.