Auf dem Weg zum Zentrum der Macht
Kriminelle Rahmenbedingungen machen die Erweiterung des Landhauses zu einem Erfolgsprojekt. Die Gauleitung hält gesetzliche Vorschriften zum Bauverfahren nur auf dem Papier ein. Ausschließlich Firmen mit NS-Bezug stampfen das Gebäude in kurzer Zeit aus dem Boden. Nach nur einem Jahr Bauzeit beziehen die Parteidienststellen nach und nach ihre Büros. Propaganda und Realität driften spätestens nach der Firstfeier im Mai 1939 auseinander. Während die Berichterstattung vom „Stolz und Wahrzeichen der Gauhauptstadt“ spricht, hält die außertirolische Parteispitze den Bau für völlig misslungen. Sie untersagt die Bezeichnung des Gebäudes als „Gauhaus“.
Die Gauleitung plant zusätzlich den Ankauf sämtlicher Wohnhäuser im Landhauskomplex. Es soll ein geschlossener Machtkomplex entstehen. Das gesamte Projekt fußt in verbrecherischen Vorgängen. Die Finanzierung erfolgt durch einen Raubzug gegen kirchliche Einrichtungen. Den Ankauf der Wohnhäuser macht nur die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung möglich. Die Gauleitung bietet den Besitzerinnen und Besitzern neben einer finanziellen Abgeltung günstige „arisierte“ Tauschobjekte an.
Rahmenbedingungen
1. Einspruch der Anrainerfamilie Schirmer gegen die Höhe des Gebäudes im April 1939, TLA (DIN A4)
2. Ehemaliges Schulgebäude in der Wilhelm-Greil-Straße auf Höhe der östlichen Fassade des Neubaus, StAI (DIN A4)
3. Baustellentafeln von am Bau beteiligten Firmen, TLA
4. Vertrauliches Rundschreiben des Gauleiters bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge im Juli 1941, TLA
5. Schreiben des Leiters der Hochbauabteilung zum Einsatz von Zwangsarbeitskräften im September 1939, TLA
1. Ohne Kompromisse
Die Bauverhandlung findet am 12. September 1938 statt. Sie erweist sich als reine Alibiaktion: Der Vertrag mit dem Bauunternehmen Hinteregger ist schon längst unterzeichnet, Einwände werden nicht zur Kenntnis genommen. Anrainerfamilie Schirmer wird zur Verhandlung erst gar nicht eingeladen.
2. Eine Hand wäscht die andere
Die Stadtverwaltung äußert Einwände gegen den Neubau: Das Gebäude ist zu hoch und die Ausgestaltung der Südfassade ist unbefriedigend. Doch die Stadt ist auf die Landeshauptmannschaft angewiesen. Sie benötigt die Genehmigung für den zeitgleich geplanten Rathauszubau. Der Abbruch des ehemaligen Schulgebäudes ermöglicht die Begradigung der Wilhelm-Greil-Straße.
3./4./5. Auftragsvergabe und Zwangsarbeit
Bei der Vergabe der Aufträge berücksichtigt die Gauleitung ausschließlich treue Parteigänger. Einzelne Firmen schließt die NS-Führung dezidiert aus. Die Bauabteilung diskutiert bereits zwei Wochen nach Kriegsbeginn den Einsatz von Zwangsarbeitskräften, der bei späteren Arbeiten nicht ausgeschlossen werden kann. Etliche beteiligte Firmen beschäftigen Zwangsarbeitskräfte und Kriegsgefangene
Propaganda und Realität
1. Bilder der Firstfeier am 6. Mai 1939, TLM
2. Zeitungsberichte zur Errichtung des „Gauhauses“ in den Jahren 1938/39, ANNO/ÖNB
3. Propagandistische Gegenüberstellung „Einst“ und „Jetzt“ in der Deutschen Volkszeitung am 31. August 1938
4. Aufmacher in der Deutschen Volkszeitung anlässlich Hitlers Besuch in Innsbruck im April 1938
5. Reichsorganisationsleiter Robert Ley vor der Hofburg im Mai 1939, Innsbrucker Nachrichten
6. Anordnung zur Bezeichnung des neuen Dienstgebäudes im August 1939, TLA
1. „Wahrzeichen“ der Stadt
Bei der Firstfeier am 6. Mai 1939 stoßen Gauleiter Hofer, zahlreiche Vertreter von Partei und Staat und Baumeister Hinteregger auf das vermeintliche Erfolgsprojekt an. Vor dem mit Hakenkreuzfahnen und Tannengrün geschmückten Gebäude nehmen Bauarbeiter und die Wiltener Musikkapelle Aufstellung.
2./3./4. Inszenierung
Die Medienberichterstattung inszeniert den Neubau als steingewordenen „Beweis nationalsozialistischer Zielstrebigkeit und Tatkraft“. Er symbolisiert den Aufbruch in eine neue Zeit. Die NS-Botschaft ist immer dieselbe: Nach Jahren des Stillstandes bringt euch Hitler Arbeit und Brot.
5./6. Erweiterungsbau statt Gauhaus
Der Reichsleiter der NSDAP Robert Ley stattet Innsbruck vier Tage nach der Firstfeier einen Kurzbesuch ab. Von seinem Einverständnis hängt die Finanzierung des Neubaus durch die Partei ab. Doch Ley findet das Gebäude komplett misslungen. Er bezeichnet den Bau als „Kloster mit Zellen“ und untersagt, den Neubau weiterhin als Gauhaus zu bezeichnen.
Finanzierung und Tauschobjekte
1. Zahlungsauftrag an die Tiroler Landeskasse zur Bestreitung der Baukosten im Oktober 1938,
2. Gebäudekomplex des Canisianums, das katholische Internat des Jesuitenordens für Studenten der Theologie, vor 1938, StAI
3. Schreiben des Reichsfinanzministeriums zur Tilgung eines Kredits im September 1941, TLA
4. Lageplan der Umgebung des Landhausblocks im August 1938, TLA
5. Niederschrift zum Verkauf des Schirmer-Wohnhauses in der Meraner Straße 4 (Auszug), TLA
6. Schuhaus Graubart in der Museumstraße 8 im April 1938, StAI
7. Vera Graubart mit ihren Eltern Margarethe und Richard, Privatarchiv Familie Graubart
1. Bauen auf Pump
Die Belastung des Landeshaushalts ist enorm: Die Baukosten betragen 2,5 Millionen Reichsmark. Für Liegenschaftsankäufe und Adaptierungsarbeiten fallen mindestens 1 Million Reichsmark an. Das Land finanziert das Vorhaben auf Pump und hofft auf Geld aus Berlin.
2./3. Raubzug
Wo das Geld herkommt, lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren. Einen Kredit über 800.000 Reichsmark erhält das Land aus Berlin. Die Rückzahlung entfällt durch den Raub des Canisianums. Die Gauleitung verkauft das Gebäude für 1,5 Millionen Reichsmark an das Deutsche Reich.
4. Machtkomplex und „Arisierung“
Um einen geschlossenen Machtkomplex um das historische Landhaus zu errichten, erwirbt die Gauleitung private Gebäude (gelb markiert). Die Eigentümerfamilien wollen nicht verkaufen. Als Gegengeschäft bietet die NS-Führung Wohnhäuser vertriebener Innsbrucker Jüdinnen und Juden günstig an.
5./6./7. Profit auf Kosten der Verfolgten
Ohne es anzustreben, profitiert Familie Schirmer vom Zwangsverkauf ihres Wohnhauses. Sie fordert mehr als sie letztlich erhält und erwirbt das Graubart-Haus in der Museumstraße 8. Richard Graubart wird in der Novemberpogromnacht ermordet. Seine Frau Margarethe und Tochter Vera fliehen nach England.