Euregio-Baukulturpreis erstmals verliehen

Alles Gebaute und wie es aussieht – das ist Baukultur. In der Euregio Tirol-Südtirol-Trentino gibt es seit heuer dafür auch einen Preis, mit dem herausragende Bauprojekte ausgezeichnet werden.

Der Euregio-Baukulturpreis stand bei seiner Premiere unter dem Motto „Weiterbauen am Bestand und in Umgebung“. Konkret waren Architekturschaffende zur Teilnahme eingeladen, die Umbauten, Sanierungen oder Erweiterungen in einem oder mehreren der drei Länder realisiert haben. Heute, Montag, wurde die Auszeichnung erstmals im Innsbrucker Landhaus verliehen. 

Insgesamt wurden 55 Projekte eingereicht, davon 27 aus Tirol, 19 aus Südtirol und neun aus dem Trentino. Je ein Preisträger pro Land wurde von einer Jury ausgewählt: Studio Lois (Innsbruck), Lukas Mayr (Percha/Innsbruck) und Campomarzio (Trento/Bozen) erhalten für ihren sensiblen und zukunftsweisenden Umgang mit bestehender Baukultur eine von Lois Anvidalfarei geschaffene Bronzeskulptur. Zudem wurde ein Publikumspreis durch ein Online-Voting ermittelt. Diesen gewann das Innsbrucker Architekturbüro he und du für das Projekt „FELSA“. Der Preis: eine Lithografie des ladinischen Künstlers Anvidalfarei.

Der Euregio-Baukulturpreis wurde vom Tiroler Alt-Landeshauptmann Wendelin Weingartner mitinitiiert. Er stiftet den Preis für vier Ausgaben, um Persönlichkeiten zu ehren, die mit ihrer vorbildhaften Haltung zur Baukultur überzeugen. Die Projekte sollen beispielhaft zeigen, wie Bauen die Umwelt, Lebensqualität und Identität positiv prägen kann. „Dieser neu ausgelobte Preis hat doppelte Wichtigkeit: Einerseits schärft er das Bewusstsein für die gemeinsame kulturelle Basis in der Euregio Tirol-Südtirol-Trentino. Andererseits fördert der Preis das Bewusstsein für Baukultur. Architektur und nachhaltiger Umgang mit Bestand sind zentrale Mittel, um unseren Lebensraum lebenswert zu gestalten und einen Mehrwert in vielerlei Hinsicht zu schaffen“, begrüßt Euregio-Präsident LH Anton Mattle diese Initiative.

Mit dem Euregio-Baukulturpreis setzen wir ein starkes Zeichen für qualitätsvolles und identitätsstiftendes Bauen im Euregio-Raum. Die Verbindung von Tradition und Innovation schafft nachhaltigen Mehrwert für unsere Lebensräume und spiegelt unsere Identität wider“, betont sein Südtiroler Amtskollege LR Philipp Achammer.

„Der heute verliehene Euregio-Preis würdigt die Fähigkeit, unter Berücksichtigung der Geschichte und Identität unserer Regionen zu bauen und dabei das Gebiet, das uns auszeichnet und verbindet, aufzuwerten. Das ausgezeichnete Projekt aus dem Trentino zeigt zudem, wie Innovation und Erinnerung harmonisch nebeneinander bestehen können und so Qualität und Wohlstand für die Gemeinschaft schaffen“, betont Simone Marchiori, der im Trentino für Wohnbau, Liegenschaften und Autonomiebewusstsein zuständige Landesrat. 

Die Fachjury, bestehend aus der Landschaftsarchitektin Rita Illien, dem Bauingenieur Jürg Conzett und dem Architekten Armando Ruinelli, sichtete die Projekte in mehreren Sitzungen, bereiste ausgewählte Einreichungen und bestimmte die PreisträgerInnen.

Das Kuratorium für Technische Kulturgüter war an der Entstehung des Euregio-Baukulturpreis maßgeblich beteiligt. Die weitere Entwicklung und die Organisation erfolgte unter Leitung der Abteilung Bodenordnung, Geschäftsstelle für Dorferneuerung und Lokale Agenda 21 des Landes Tirol.

Weitere Informationen zum Euregio-Baukulturpreis unter: www.euregio.info/baukultur


Factbox: Die Preisträger aus Tirol, Südtirol und dem Trentino

Tirol: Studio Lois, gegründet 2015 in Innsbruck, arbeitet an Projekten mit hohem gesellschaftlichem Bezug – vom sozialen Wohnbau über Bildungs- und Kulturbauten bis hin zu internationalen Projekten – und verfolgt eine klare, ressourcenschonende Architektursprache. 

Das Projekt „Zeit des Erwachens – Klösterle“ in Imst zeigt den sensiblen Umgang mit einem spätromanischen Kernbau aus dem 14. Jahrhundert, der über Jahrhunderte mehrfach erweitert worden war und lange leer stand. Studio Lois entwickelte in Abstimmung mit dem Denkmalamt eine Lösung, bei der wertlose spätere Anbauten entfernt und ein zurückhaltender Neubau eingefügt wurden. So entstand ein Ensemble, das historische Substanz wieder sichtbar macht und zugleich neue Nutzungen wie Pflegeheim, Tagespflege und betreutes Wohnen integriert. Der Ansatz verbindet Denkmalpflege mit Stadtbelebung, Ressourcenschonung und sozialer Wirkung.

Die Jury lobt die sensible Sanierung des alten Klösterles und den damit verbundenen Neubau in Imst als architektonisch herausragende Leistung. Durch den respektvollen Umgang mit dem historischen Bestand, die harmonische Verbindung von Alt und Neu sowie die sorgfältige Umsetzung komplexer Anforderungen entsteht eine hochwertige Wohnqualität, die einen wichtigen Impuls für die Belebung der Innenstadt setzt.

Südtirol: Lukas Mayr, 1973 in Bruneck geboren, lebt und arbeitet in Percha und Innsbruck. Seine Haltung ist geprägt vom respektvollen Weiterbauen im Bestand und der Suche nach kollektiver Identität im Gebauten.

Das Projekt „Haidacher, weiterbauen: Arbeiten & Wohnen“ in Percha bei Bruneck transformiert die über 100-jährige Tradition eines Tischlereibetriebs. Ausgangspunkt war die Umnutzung einer kleinen Hütte zum Atelier „Haidachers Küche“. In mehreren Bauphasen entstanden eine erweiterte Tischlerei mit neuen Produktionsflächen und Wohnungen für die Familie. Der Entwurf bindet Alt- und Neubauten sensibel in Gelände und Bestand ein: Ein begrüntes Dach fügt sich in den Hang, Oberlichter bringen Licht tief in die Werkstatt, die Materialwahl verbindet Stahl, Sichtbeton und Massivholz. Das Projekt setzt auf Transformation statt Abriss und betont die Kontinuität von Leben und Arbeiten am gleichen Ort.

Die Jury hebt hervor, dass hier Baukultur als Zusammenspiel von Tradition, Innovation und Handwerk absolut vorbildlich gelingt. Durch etappenweise Erweiterungen, pragmatische, aber sehr qualitätsvolle Architektur und den respektvollen Umgang mit Bestand und Landschaft entsteht ein Ensemble, das funktional, identitätsstiftend und langfristig wertig ist.

Trentino: Campomarzio ist ein in Trient und Bozen ansässiges Kollektiv mit multidisziplinärem Ansatz in Architektur, Stadtplanung, Forschung und visueller Kommunikation, das bereits international ausgezeichnet wurde – unter anderem bei der Biennale von Venedig.

Das Projekt „Recupero del Moderno“ widmet sich der Erneuerung des 1970er-Jahre-Sozialwohnungsquartiers Madonna Bianca in Trient. Anstelle eines Abrisses wurde ein Prozess eingeleitet, der den architektonischen und städtebaulichen Wert des Ensembles sichtbar macht. Das Büro dokumentierte und vermittelte den kulturellen Gehalt des Quartiers, unter anderem durch die Ausstellung „Almanacco 70“. Der laufende Umbau zielt auf eine behutsame energetische und funktionale Erneuerung, ohne die architektonische Identität zu zerstören. Der Ansatz verdeutlicht die Bedeutung von Nachkriegsarchitektur als kulturelles Erbe und Ressource für die Zukunft.

Die Jury würdigt die Sanierung der Hochhäuser als gelungenes Beispiel für den respektvollen Umgang mit der Architektur der Nachkriegsmoderne. Durch energetische und technische Verbesserungen sowie subtile gestalterische Eingriffe bleibt der ursprüngliche Ausdruck erhalten, während Funktionalität und Alltagstauglichkeit deutlich gesteigert werden. So wird die Siedlung langfristig ökologisch, ökonomisch und architektonisch gesichert.

Der Publikumspreis geht an he und du für das Projekt „FELSA“

Das Innsbrucker Büro he und du steht für Weiterbauen mit Respekt vor Landschaft, Bestand und Menschen. Nachhaltigkeit bedeutet hier ehrliche Materialien, maßvolle Eingriffe und ein dialogorientierter Planungsprozess – mit dem Ziel, langlebige Architektur zu schaffen und regionale Identität zeitgemäß fortzuschreiben.

„FELSA“, Zams (2017): Umbau eines Wohnhauses aus dem Jahr 1960 für eine fünfköpfige Familie. Die Funktionen wurden neu geordnet (Wohnen im Obergeschoss, Schlafen im kühleren Erdgeschoss); ein offener Dachstuhl mit circa 5,5 m Raumhöhe prägt den Hauptraum, großzügige Fenster rahmen den Bergblick. Eine westseitige Holzständerwand schafft Intimität und Platz für ein Sitzfenster. Materialität: Sichtbeton (u. a. Carport, Treppenstufen) und Fichtenholz in unterschiedlichen Ausführungen – von sägerauer Fassade bis zum handgehobelten Riemenboden.

Die Jury lobt den Umbau als beispielhafte Sanierung eines 1960er-Jahre-Hauses, bei dem die bestehende Substanz geschickt genutzt wird. Durch gezielte Eingriffe entstehen funktionale und räumlich großzügige Lösungen, die außen unaufdringlich wirken und innen mit handwerklicher Qualität überzeugen.