Wenn es zuhause nicht mehr sicher ist …

Auftakt zu den „16 Tagen gegen Gewalt an Frauen“

  • Frauen erleben überwiegend Gewalt im Kontext von Beziehungen
  • Gewaltschutzzentrum verzeichnet kontinuierlichen Anstieg bei von Gewalt betroffenen Frauen
  • Start für das Frauenhaus Oberland Anfang 2022

28 Frauenmorde, davon 27 – mutmaßlich – durch (Ex-)Partner, Bekannte oder ein Familienmitglied. 51 Mordversuche bzw. Fälle von schwerer Gewalt gegen Frauen, davon 47 – mutmaßlich – durch (Ex-)Partner, Bekannte oder ein Familienmitglied: Dies ist die erschreckende bisherige Bilanz des heurigen Jahres in Österreich. Darin beinhaltet sind zwei Frauenmorde und drei Mordversuche bzw. Fälle von schwerer Gewalt gegen Frauen in Tirol. „Jede Frau, die Gewalt durch ihr unmittelbares Umfeld erfährt, ist eine zu viel“, zeigt Frauenlandesrätin Gabriele Fischer zum Auftakt der „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ auf. In der Zeit zwischen dem 25. November – dem Internationalen Gedenktag für die Opfer von Gewalt an Frauen und Mädchen – und dem 10. Dezember – dem Internationalen Tag der Menschenrechte – soll das Thema Gewalt an Frauen verstärkt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt werden.

Laut den aktuellsten vorliegenden EUROSTAT-Daten ist Österreich das einzige Land in der Europäischen Union, das im Zeitraum von 2016 bis 2018 durchgehend einen größeren Anteil von Frauen unter den gesamten Mordopfern hatte als von Männern. Frauen werden überwiegend im Kontext von Beziehungen getötet, die von dysfunktionalen Rollenbildern von weiblich und männlich bestimmt sind. In den überwiegenden Fällen sind diese Morde der Schlusspunkt einer längeren von Gewalt geprägten Beziehung.

Gewalt gegen Frauen in Tirol – Zahlen und Fakten

„Im Jahr 2020 wurden vom Gewaltschutzzentrum Tirol 1.336 Personen, davon 1.102 Frauen (82,5 Prozent) und 234 Männer (17,5 Prozent) beraten und unterstützt, die Opfer von häuslicher Gewalt bzw. Stalking waren. Bis heute, 24. November, verzeichnen wir dieses Jahr insgesamt 1.445 Personen, davon 1.212 Frauen und 233 Männer, die sich an das Gewaltschutzzentrum gewandt haben“, berichtet Julia Haberkorn, Beraterin des Gewaltschutzzentrums Tirol. „2020 lebten 814 Kinder in den Haushalten dieser von häuslicher Gewalt betroffenen Personen – die Minderjährigen waren demzufolge entweder Opfer oder Zeuginnen und Zeugen der Gewalt. Heuer sind bisher 771 Kinder im häuslichen Kontext von Gewalt betroffen.“ Von 150 Kindern und Jugendlichen ist aus dem Jahr 2020 bekannt, dass sie direkte Gewalt innerhalb ihrer Familie oder im sozialen Umfeld erfahren haben. Ein Blick auf die Auswertung der Beratungsleistungen des Gewaltschutzzentrums der vergangenen fünf Jahre zeigt, dass die Anzahl der von Gewalt betroffenen Personen kontinuierlich ansteigt, der Anteil von Frauen betrug dabei zwischen 80 und 85 Prozent. „Seitens der Polizei wurden uns 2020 insgesamt 860 Maßnahmen zu häuslicher Gewalt übermittelt, wobei 715 Betretungsverbote verhängt wurden. 2021 beläuft sich die Zahl auf mittlerweile 977 Maßnahmen zu häuslicher Gewalt und davon 894 Betretungsverbote. Bei den bekannt gemachten Anzeigen handelt es sich um strafbare Delikte wie Körperverletzungen, Gefährliche Drohungen, Beharrliche Verfolgungen sowie sexualisierte Übergriffe“, informiert Haberkorn.

Wenn die Situation zuhause nicht mehr tragbar ist, finden Frauen und ihre Kinder Schutz und Beratung im Tiroler Frauenhaus oder in anderen Opferschutzeinrichtungen.

Im Jahr 2020 fanden rund 80 Frauen und 50 Kinder aus ganz Tirol Schutz, Unterkunft und Beratung im Frauenhaus Tirol. In der Krisen- und Opferschutzeinrichtung selbst wurden 9.000, in den Übergangswohnungen 6.000 Nächtigungen verzeichnet. 2020 verzeichnete das Frauenhaus Tirol im Rahmen der Unterstützung im Frauenhaus, im Rahmen des Betreuten Wohnens und in der Beratungsstelle in der Adamgasse 16 eine Anzahl von gesamt 4.872 unterschiedlichen Beratungskontakten. „Das Tiroler Frauenhaus, in das wir 2019 neu eingezogen sind, bietet Platz für 16 Frauen, 16 Kinder und Jugendliche und umfasst 15 (Klein-)Wohnungen in unterschiedlichen Größen sowie ein Notaufnahmezimmer“, berichtet Gabi Plattner, Geschäftsführerin des Tiroler Frauenhauses. Das gesamte Frauenhaus ist barrierefrei zugänglich. „Ganz besonders stolz sind wir auch auf zwei zusätzliche Wohneinheiten, die ein barrierefreies Umfeld für Frauen mit Behinderungen, die Assistenzleistung benötigen, möglich machen“, betont Plattner.

Neues Frauenhaus im Oberland

Für Frauen und ihre Kinder stehen aktuell in den beiden Frauenhäusern Tirol, dem Tiroler Frauenhaus und jenem vom Verein Frauen helfen Frauen, insgesamt 47 Plätze zur Verfügung. Hinzu kommen die dezentralen Notwohnungen von der Frauen- und Mädchenberatungsstelle Evita in Kufstein und dem Frauenzentrum Osttirol mit insgesamt 16 Plätzen für Frauen und deren Kinder. Abgerundet wird das Angebot von Plätzen im Betreuten Wohnen und Übergangswohnen. Des Weiteren gibt es in den Bezirken Tirols regionale Anlaufstellen, an die sich Betroffene wenden können.

Mit dem Frauenhaus im Oberland kommt nun eine neue Krisen- und Opferschutzeinrichtung hinzu, in dem fünf Frauen und deren Kinder Schutz und Betreuung finden. Der Start für die neue Anlaufstelle wird Anfang 2022 sein. Das Land Tirol finanziert das Projekt mit 250.000 Euro. „Das Frauenhaus im Oberland wird stark mit dem Tiroler Frauenhaus vernetzt sein: Es wird eine gemeinsame Notrufnummer betrieben und – je nach individueller Situation und Auslastung der beiden Frauenhäuser – kann auch eine örtliche gegenseitige Verweisung stattfinden“, betont Plattner.

Aus Opferschutzgründen werden die Orte der Frauenhäuser und Notwohnungen nicht bekanntgegeben.

Gleichstellungspaket: Schwerpunkt auf Gewaltprävention

Das Gleichstellungspaket 2020-2023 wurde vor rund einem Jahr mit dem Ziel geschnürt, geschlechterspezifische Gleichheit in Tirol innerhalb von sieben definierten Handlungsfeldern zu stärken. Damit soll die Gleichstellung in Tirol gefördert und Chancengleichheit unabhängig von Geschlecht erreicht werden. „Um sicher zu sein, müssen Frauen zuallererst unabhängig sein. Gewaltprävention beginnt daher schon bei der eigenständigen Existenzsicherung. Je früher daher bei den Rollenbildern angesetzt wird, desto besser kann Gewalt schon im Entstehen verhindert werden“, spannt LRin Fischer den Bogen über die breit gefächerten Ziele des Gleichstellungspaketes. „Wir brauchen Geschlechtergerechtigkeit und die ökonomische Gleichheit von Frauen und Männern, damit keine Frau wegen finanzieller Abhängigkeit in einer gewalttätigen Beziehung bleiben muss“, stellt Elisabeth Stögerer-Schwarz, Leiterin des Bereichs Frauen in der Abteilung Gesellschaft und Arbeit klar. Das Gleichstellungspaket beinhaltet daher unter anderem fünf Projekte zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und zur eigenständigen Existenzsicherung von Frauen, für die insgesamt drei Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. „Im Rahmen des Gleichstellungspaketes wird ein Schwerpunkt auf Gewaltprävention im Ausmaß von 875.000 Euro gesetzt. Dieser umfasst weitere Informations- und Sensibilisierungsmaßnahmen sowie die Weiterentwicklung von Beratungsangeboten. Letztere sollen – wie auch entsprechende Schulungen – durch diese Investitionen auch online und in hybrider Form angeboten werden“, führt Stögerer-Schwarz aus. Zusätzlich dazu wurde beim Land Tirol eine Gewaltpräventionsstelle eingerichtet, die interne und externe Maßnahmen zur Gewaltprävention und zum Gewaltschutz sowie die in der Gewaltprävention und im Gewaltschutz tätigen Einrichtungen koordiniert.

Rechtliche und strukturelle Grundlagen im Gewaltschutz

Österreich und Tirol sind – was die rechtliche Absicherung des Gewaltschutzes betrifft – gut aufgestellt: Mit den Gewaltschutzgesetzen fand ein Paradigmenwechsel statt, der den Verbleib der Opfer – meist Frauen und ihre Kinder – in der häuslichen Umgebung sicherstellt, während der/die TäterIn mit einem Betretungsverbot belegt oder weggewiesen wird. Zusätzlich dazu wurden in allen Bundesländern Gewaltschutzzentren gesetzlich eingerichtet.

In Tirol wurde vergangenes Jahr ein Gewaltschutzplan erarbeitet, der die landesweiten Strukturen der Gewaltprävention und des Opferschutzes im sozialen Nahraum behandelt. Dieser gibt einen Überblick über die im Gewalt- und Opferschutz sowie in der Gewaltprävention tätigen AkteurInnen und umfasst sowohl die rechtlichen Rahmenbedingungen als auch die spezifischen Präventionsangebote für Frauen, Mädchen, Kinder und Jugendliche, aber auch TäterInnen. Der Gewaltschutzplan zeigt, dass Gewaltschutz in Tirol auf mehreren Ebenen gut etabliert ist. Den dafür notwendigen Kooperationen zwischen Polizei, Justiz, Kinder- und Jugendhilfe, Frauenhäusern und Beratungsstellen stellt der Gewaltschutzplan ein gutes Zeugnis aus.

„Orange the World“ – auch beim Tiroler Landhaus

Weltweit erstrahlen in den 16 Tagen gegen Gewalt Gebäude, Plätze und Straßenzüge in oranger Farbe, um ein sichtbares Zeichen gegen Gewalt an Frauen zu setzen. Die Kampagne „Orange the World“ trägt somit zur Enttabuisierung dieses Themas bei. „Ich danke dem Tiroler Landtag, auf dessen Initiative auch das Landhaus in Innsbruck orange beleuchtet wird. Damit wird das klare Signal gegen Gewalt an Frauen ausgesendet“, betont LRin Fischer.

 

Wichtige Kontakte und Links:

  • Sämtliche Beratungs- und Hilfsangebote in Tirol unter www.gewaltfrei-tirol.at 
  • Die Frauenhelpline ist rund um die Uhr zum Nulltarif erreichbar: 0800-222 555
  • Das Tiroler Frauenhaus ist unter der Nummer 0512 342112 rund um die Uhr erreichbar.
  • Das Gewaltschutzzentrum Tirol ist unter der Nummer 0512 571313 erreichbar. Weitere Informationen auf www.gewaltschutzzentrum-tirol.at