16 Tage gegen Gewalt an Frauen

LRin Pawlata: „Strukturelle Benachteiligungen sind Wurzeln von Diskriminierung und Gewalt“

  • Jährliche Kampagne vom 25. November bis zum 10. Dezember macht auf Thema Gewalt an Frauen aufmerksam
  • 28 Femizide in Österreich, zwei davon in Tirol
  • Ungleiche Machtverhältnisse begünstigen Gewalt an Frauen
  • Land Tirol fördert Projekte zur Gewaltprävention und zum Aufbrechen von Rollenbildern

Zwischen dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November und dem Internationalen Tag der Menschrechte am 10. Dezember liegen die „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“. Weltweit wird anlässlich dieser Kampagne jedes Jahr auf das Thema Gewalt an Frauen aufmerksam gemacht. 28 Femizide, also Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts, sind laut den Autonomen Österreichischen Frauenhäusern die traurige Bilanz des Jahres 2022 in Österreich. In Tirol wurden zwei Frauen von ihrem Partner bzw. Ehemann ermordet. Die Anzahl der in Tirol zur Anzeige gebrachten Gewaltdelikte im Familienkreis bzw. privaten Umfeld nahm laut der Kriminalstatistik 2021 um rund 16 Prozent im Vergleich zu 2020 zu. So wurden 2021 rund 1.600 Fälle angezeigt – in knapp 70 Prozent der Fälle sind die Betroffenen Frauen und Mädchen. Auch die Anzeigen wegen Vergewaltigungen – 2021 in Tirol knapp 100 – nahmen im Vergleich zum Vorjahr um rund 16 Prozent zu.

Frauenlandesrätin Eva Pawlata lud zum Auftakt der „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ zu einer Pressekonferenz ins Landhaus in Innsbruck: „Wenn es um Gewalt an Frauen geht, ist es mir ein besonderes Anliegen, auf die strukturelle Gewalt aufmerksam zu machen. Dabei geht es um die ungleiche Verteilung von Einkommen und Ressourcen, ungleiche Zugänge zu Bildungs- und Berufswegen sowie Rollenbilder und Machtverhältnisse. Diese Formen von Benachteiligungen von Frauen gilt es aufzuzeigen und aufzubrechen – denn sie sind die Wurzeln von Diskriminierung und Gewalt.“ Das Land Tirol fördert aktuell Einrichtungen und Maßnahmen im Bereich des Gewaltschutzes und der Gewaltprävention mit insgesamt rund 2,2 Millionen Euro. Zusätzliche rund 1,3 Millionen Euro stehen für Opferschutzeinrichtungen zur Verfügung. Für das „Aufbrechen von Rollenbildern“ sind im Gleichstellungspaket 2020-2023 Mittel in Höhe von 520.000 Euro vorgesehen – sie fließen etwa in Projekte zur Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen sowie der Steigerung des Frauenanteils in Führungspositionen.

Gewaltschutzzentrum nahm 2021 rund 1.600 Personen auf

Das Gewaltschutzzentrum Tirol ist eine Opferschutzeinrichtung der Republik Österreich. Die MitarbeiterInnen beraten und unterstützen insbesondere Frauen und deren Kinder, die im häuslichen Bereich von Gewalt bedroht und betroffen sind. Im Jahr 2021 nahm das Gewaltschutzzentrum Tirol rund 1.600 Personen auf – über 80 Prozent davon waren Frauen. In diesem Jahr zählt das Gewaltschutzzentrum Tirol mit Stand November rund 1.500 KlientInnen – rund 1.200 davon sind Frauen.

Auch die Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Tirol, Andrea Laske, erlebt in ihrer Arbeit die Auswirkungen struktureller Gewalt: „Strukturelle Gewalt in Form von ungleichen Machtverhältnissen und ungleichen Möglichkeiten von Männern und Frauen begünstigt das Auftreten von Gewalt in Beziehungen. Ein Beispiel hierfür ist der finanzielle Bereich: Viele unserer Klientinnen können es sich gar nicht leisten, sich von ihrem gewalttätigen Partner zu trennen. Sie können sich die Miete und den Lebensunterhalt nämlich nicht alleine finanzieren, weil sie in schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen oder in Teilzeit arbeiten. Diese Frauen bleiben dann oft über viele Jahre in gewaltvollen Beziehungen – teilweise mit ihren Kindern, die ebenso die häusliche Gewalt miterleben.“

Kriminalprävention als Teil der Polizeiarbeit

Ein Großteil der Personen wird den Gewaltschutzzentren vonseiten der Polizei vermittelt. Im Jahr 2021 wurden dem Gewaltschutzzentrum Tirol 996 Betretungsverbote und 51 Fälle von beharrlicher Verfolgung gemeldet. Ähnlich auch im heurigen Jahr: 2022 sind es mit aktuellem Stand 930 Betretungsverbote und 75 Fälle von Verfolgung.

„Die Bekämpfung von Gewaltkriminalität ist eine wesentliche Aufgabe der Polizei. Diese ist aber nicht nur repressiv durch die Entgegennahme von Anzeigen und der Aufklärung von Straftaten zu verstehen. Es geht auch darum, durch präventive Maßnahmen die Entstehung von Gewalt zu verhindern“, erklärt Katja Tersch, Leiterin des Landeskriminalamts Tirol. Hierfür werden in Tirol aktuell 140 speziell geschulte „PräventionsbeamtInnen“ eingesetzt. „Dies stellt einen wesentlichen Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr dar, wo es noch 100 Beamtinnen und Beamte in dieser Funktion gab und zeigt deutlich den hohen Stellenwert innerhalb der polizeilichen Arbeit“, so Tersch. Die PräventionsbeamtInnen unterstützen im Bereich Gewalt in der Privatsphäre die eigenen KollegInnen bei Amtshandlungen, führen Nachbetreuungen mit Betroffenen sowie rechtliche Aufklärungsgespräche mit Gefährdern durch. Darüber hinaus zählen die Kooperation und Vernetzung mit relevanten SystempartnerInnen zu ihren Aufgaben.

Maßnahmen zur Gewaltprävention

„BASIS – Frauenservice und Familienberatung Außerfern“ ist eine der vielzähligen Einrichtungen in Tirol, deren Maßnahmen zur Gewaltprävention vom Land Tirol gefördert werden. „In unserer Beratungsstelle in Reutte haben wir bis dato 15 Frauen aus dem ganzen Bezirk begleitet, die von einer oder mehreren Gewaltformen – also psychischer, physischer, sexualisierter, sozialer, ökonomischer oder kultureller Gewalt – betroffen sind. Wenn in Familien Gewalt vorkommt, kann dies speziell für Kinder schwere Folgen haben. Aus diesem Grund ist es wichtig, mit der Gewaltprävention so früh wie möglich zu beginnen“, führt Obfrau Gabriele Schick aus. Von September 2022 bis Dezember 2023 beleuchtet BASIS das Thema Gewalt umfassend und will insbesondere von Gewalt Betroffene und deren Umfeld – Unterrichtende, Personen aus dem sozialen Dienstleistungssektor sowie SchülerInnen – ansprechen. Hierfür sind Thementage, Impulsveranstaltungen, Vorträge und Anti-Aggressionstraining geplant.

Weitere Maßnahmen zur Gewaltprävention, die das Land Tirol aktuell fördert, umfassen etwa Workshops zu Catcalling (anzügliches Rufen oder Pfeifen im öffentlichen Raum), Sexting (das Verschicken von Nacktaufnahmen) und Cybergewalt, Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskurse, Beratungsangebote zu sexualisierter Gewalt, Trainingsprogramme zu opferschutzorientierter Täterarbeit sowie MultiplikatorInnen-Schulungen. Bereits abgeschlossen ist ein „Lehrgang Gewaltprävention“ für MitarbeiterInnen in Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit, der aktuell evaluiert wird, und die Runden Tische zur Gewaltprävention, die dem Austausch regionaler Einrichtungen zum Thema Gewalt dienten (siehe Presseaussendung vom 4. November 2022).

Um speziell traditionell verankerte Rollen- und Aufgabenzuschreibungen von Frauen und Männern aufzubrechen, fördert das Land Tirol bis Ende 2023 aus dem Gleichstellungspaket mit insgesamt 200.000 Euro Projekte und Maßnahmen, die sich kritisch mit den geschlechtsspezifischen Stereotypen auseinandersetzen und zur aktiven Antidiskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität anregen – darunter fallen etwa interkulturelle Frauencafés, Frauenräume, Eltern-Seminare oder Projekte, die zu LGBTQ+ sensibilisieren.

Gewaltbereitschaft kann gerade in Vorweihnachtszeit steigen

Wie die Erfahrungen von Frauen- und Opferschutzeinrichtungen zeigen, kann Gewalt an Frauen gerade in der Vorweihnachtszeit vermehrt auftreten. „Es ist für viele Menschen eine Zeit, die mit viel Stress verbunden ist. Eskalationen sind daher vorprogrammiert. Darüber hinaus erleben wir eine Zunahme von häuslicher Gewalt durch die finanzielle Not, in die Familien und Alleinerziehende durch die aktuelle Teuerung geraten können“, berichtet die Obfrau von BASIS.

Die erste Anlaufstelle bei einer akuten Gewalt-Situation ist die Polizei bzw. der Notruf. Darüber hinaus können sich Betroffene in einer Vielzahl von Einrichtungen kostenlos und auf Wunsch anonym Hilfe und Unterstützung holen. Eine Übersicht über die Beratungs- und Hilfsangebote bei Gewalt in Tirol findet sich unter www.gewaltfrei-tirol.at.


16 Tage lang gegen Gewalt sensibilisieren: beispielhafte Übersicht einiger Aktionen

  • „Orange the World“
    Der Tiroler Landtag beteiligt sich auch dieses Jahr wieder am Projekt „Orange the World“ und beleuchtet das Landhaus 16 Tage lang orange (mehr dazu in der Presseaussendung des Landtags).
  • Andere Tiroler Einrichtungen hissen im Zeitraum vom 25. November bis zum 10. Dezember Fahnen, bringen öffentliche Banner und Plakate an oder sprühen Symbole auf. Die Vielzahl unterschiedlicher Veranstaltungen in Tirol umfasst Workshops und Kurse, Lesungen und Vorträge, Diskussionsrunden, Videospots und Kurzfilme, Radiobeiträge sowie Online- und Social-Media-Kampagnen.

Vom Land Tirol gefördert werden unter anderem:

  • die vom Verein „Frauen helfen Frauen“ produzierten Video-Spots zur Gewaltprävention, die auf den Bildschirmen der Innsbrucker Verkehrsbetriebe gezeigt werden;
  • die Plakataktion „#etwaslaeuftfalsch“ vom Verein „Frauen gegen Vergewaltigung“, dem Kunstkollektiv Lungomare in Bozen und den Tiroler Kulturinitiativen, die das Frauenzentrum Osttirol zusätzlich in der Bücherei Lienz präsentiert;
  • der Animationsfilm „Fenster“ zum Thema „Substanzen und (sexualisierte) Gewalt an Frauen*“, der während des Aktionszeitraums als Kinovorspann in allen Tiroler Kinos läuft und vom Verein „Frauen gegen VerGEWALTigung“, dem Frauenhaus Tirol und der Z6 Drogenarbeit gemeinsam produziert wurde.

Eine Aufstellung von tirolweiten Aktionen findet sich auf der Website der Frauen*vernetzung für Begegnung und Austausch; der Veranstaltungskalender der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser verzeichnet die geplanten Veranstaltungen in Österreich.