Studie zu „Sexismus im Alltag“

Erfahrungen mit Sexismus in Tirol weit verbreitet

  • Land Tirol forciert mit Gleichstellungspaket 2020-2023 Steigerung der Chancengerechtigkeit und Abbau von Sexismus
  • Über 1.000 TeilnehmerInnen nahmen an Online-Befragung zu Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts teil
  • Über 80 Prozent der Frauen geben persönliche Erfahrung in diesem Zusammenhang an
  • Auch Männer stufen Sexismus als präsent ein

Drei Viertel der über 1.000 TeilnehmerInnen der Tiroler Studie „Sexismus im Alltag“ haben bereits Erfahrungen mit Sexismus gemacht – sei es im privaten Umfeld, dem öffentlichen Raum oder in sozialen Medien. Das zeigen die Ergebnisse der vom Land Tirol in Auftrag gegeben Online-Befragung. In dieser wurden TirolerInnen zu ihrer Meinung über Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts und ihren persönlichen Erlebnissen im Zusammenhang mit Sexismus befragt. Für die Studie wurden rund 50.000 Euro aus dem Gleichstellungspaket 2020-2023/Handlungsfeld 1 – Gewaltprävention zur Verfügung gestellt. Durchgeführt wurde die Befragung im Auftrag der Abteilung Gesellschaft und Arbeit des Landes Tirol von L&R Sozialforschung in Kooperation mit dem Center for Social & Health Innovation (CSHI) des MCI | Die Unternehmerische Hochschule, das ergänzend zur quantitativen Befragung die qualitative Forschung vor Ort in Form von Fokusgruppen umgesetzt hat. Heute, Montag, wurde die Auswertung der Studie im Rahmen einer Pressekonferenz im Landhaus von Frauenlandesrätin Gabriele Fischer, Claudia Sorger von L&R Sozialforschung und Lukas Kerschbaumer vom MCI präsentiert.

„Wir haben die Studie in Auftrag gegeben, um ein konkretes Bild von Sexismus in Tirol zeichnen zu können. Sexismus hat viele Gesichter und reicht von plakativen Rollenzuschreibungen in der Werbung über Hassnachrichten in sozialen Medien und körperlichen Belästigungen im öffentlichen Raum bis hin zu strukturellen Benachteiligungen im Berufs- und Alltagsleben. Eines haben jedoch alle Formen gemeinsam: Sie verletzen die Würde und die Gleichheit der Menschen. Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass Sexismus in Tirol nach wie vor existent ist und sowohl der Großteil der Frauen wie auch der Männer damit zu tun hat: Wenn nicht als selbst Betroffene oder Betroffener, dann als Zeugin oder Zeuge. Wir müssen daher weiterhin aktive und passgenaue Schritte setzen, um überholte Rollenbilder und Stereotype abzubauen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie voranzutreiben“, betont LRin Fischer.

Ein umfangreiches Maßnahmenpaket hat die Tiroler Landesregierung bereits mit dem „Gleichstellungspaket 2020-2023 – Gleichstellung von Männern und Frauen in Tirol“ geschnürt. „Das Gleichstellungspaket ist mit rund 6,7 Millionen Euro bemessen und umfasst die fünf Handlungsfelder Gewaltprävention, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Rollenbilder und Stereotype, Arbeitsmarkt sowie Ausstattung der Gleichstellungseinrichtungen“, berichtet Ines Bürgler, Vorständin der Abteilung Gesellschaft und Arbeit.

Öffentlicher Diskurs als zentraler Schauplatz von Sexismus

Sexismus erlebt oder beobachtet haben laut der Studie über 75 Prozent der Teilnehmenden, wobei Frauen häufiger angaben, mit Sexismus Erfahrungen gemacht zu haben als Männer. Über eine eigene Betroffenheit berichteten über 80 Prozent der Teilnehmerinnen und rund zehn Prozent der Teilnehmer. „Einig waren sich rund die Hälfte der Männer sowie der Großteil der Frauen darüber, dass Sexismus ein weit verbreitetes Phänomen ist, das nicht nur ausschließlich Frauen betrifft: So können auch Männer sowie alle, die nicht in die gängigen Vorstellungen von Frauen und Männern passen, davon negativ betroffen sein“, führt Sorger aus. Am häufigsten erlebten oder beobachteten die StudienteilnehmerInnen Sexismus im öffentlichen Diskurs. „Allem voran wurden Fälle von sexistischen Darstellungen oder verbaler und körperlicher sexueller Belästigung bzw. Gewalt in der Werbung, der medialen Berichterstattung, den sozialen Medien, in Aussagen von Personen des öffentlichen Lebens sowie im öffentlichen Raum identifiziert. Aber auch am Arbeitsplatz, in der Vereinstätigkeit, in der Ausbildung und im privaten Umfeld hat laut der Studie jede dritte Frau Erfahrungen mit Sexismus gemacht“, berichtet Sorger.

„Aus den Fokusgruppen wurde ersichtlich, dass auch Frauen geschlechterspezifische Vorurteile und patriarchale Strukturen verinnerlicht haben und diese weitergeben. Die Fokusgruppen definierten Sexismus als eine über Jahrhunderte gewachsene Struktur und damit ein strukturelles Problem, das sich durch alle gesellschaftliche Schichten zieht. Vor allem der ländliche Raum mit einem männerdominierten Brauchtum und traditionellen Rollenbildern wurde von den Teilnehmenden als besonders betroffen eingeschätzt“, berichtet Kerschbaumer.

Die gesamte Auswertung der Studie findet sich unter www.tirol.gv.at/studie-sexismus

Land Tirol fördert Gleichstellung von Frauen und Männer

Betreffend die Gewaltprävention wurde aus dem Gleichstellungspaket etwa die Umsetzung eines Projektes gefördert, das schon bei jungen Menschen ansetzt: Jugendliche werden dabei für die Ungleichheiten in der gesellschaftlichen Teilhabe von Mädchen, Frauen und queeren Personen sensibilisiert – damit wird dem Entstehen sexualisierter Gewalt durch niederschwellige Aufklärungs- und Empowerment-Arbeit entgegengewirkt. Für Mädchen und junge Frauen werden Workshops zu Catcalling, Sexting und Cybergewalt angeboten, ein Beratungsangebot sowie ein Selbstverteidigungskurs zielen auf die Förderung ihres Selbstbewusstseins und der Körperwahrnehmung ab. Burschen und junge Männer erlernen über spezifische Anti-Gewalt-Trainings alternative Handlungsmuster zur Gewalt. Darüber hinaus wurde im Rahmen des Gleichstellungspakets unter anderem 2021 eine Gewaltpräventionsstelle des Landes als zentrale Drehscheibe geschaffen.

Einen speziellen Konnex zu Sexismus stellten die Studien-TeilnehmerInnen bei der Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie den Rollenbildern fest. Um eine gleichberechtigte Verteilung der Haus- und Fürsorgearbeiten voranzutreiben, fördert das Land Tirol zum Beispiel regionale Vorträge zu „Männer und familiäre Sorgearbeit“.

Zum Aufbrechen von traditionellen Rollenbilder und Stereotypen muss – ähnlich wie bei der Gewaltprävention – möglichst früh angesetzt werden. So wird im Gleichstellungspaket ein Projekt gefördert, das Basisbildungsangebote in Schulen und elementarpädagogischen Einrichtungen, aber auch Bildungshäusern, Kulturinitiativen und weiteren Institutionen anbietet. Dieses zielt auf die Sensibilisierung von Jugendlichen und MultiplikatorInnen für die Wirksamkeit von Geschlechterkonstruktionen ab und zeigt Alternativen zu den gängigen Stereotypen auf.

Eine weitere wichtige Sensibilisierungsmaßnahme stellt der Girls‘ Day dar, der in diesem Jahr bereits zum 21. Mal stattfand. Beim Girls‘ Day – der als Girls‘ Day Mini auch für Volksschulklassen angeboten wird – haben Mädchen die Gelegenheit, die Bandbreite handwerklicher, technischer und naturwissenschaftlicher Berufe kennenzulernen. Erst dieses Jahr wurde die neue Website zum Girls‘ Day präsentiert: Sie macht die Inhalte der geschlechtersensiblen Berufsorientierung noch einfacher zugänglich. Um erwachsene Frauen mit dem notwendigen Handwerkszeug auszustatten, um ihre Anliegen und Potentiale in öffentliche Gremien, Vereine oder Institutionen einzubringen und durchzusetzen, gibt es den Kompetenzlehrgang „Nüsse knacken – Früchte ernten“. Er richtet sich primär an Frauen in politischen und gesellschaftlichen Verantwortungspositionen und startet im Oktober 2022 in eine neue Runde.