„Wohnen wie alle anderen auch“

Dies ist eine Presseaussendung des unabhängigen Tiroler Monitoringausschusses

  • Erstmalige Präsentation der „Leitlinien zur Deinstitutionalisierung“ der Vereinten Nationen in Österreich
  • 15. öffentliche Sitzung des Tiroler Monitoringausschusses im Landhaus in Innsbruck
  • Leitlinien schreiben Wandel von Wohneinrichtungen hin zu selbstbestimmtem und inklusivem Wohnen vor
  • Menschen mit Behinderungen sollen entscheiden können, wo, wie und mit wem sie zusammenleben

Der Tiroler Monitoringausschuss hat die Aufgabe, die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Tirol zu fördern, zu schützen und zu überwachen. Gestern, Donnerstag, stellten seine Mitglieder im Rahmen der 15. öffentlichen Sitzung im Landhaus in Innsbruck die „Leitlinien zur Deinstitutionalisierung“ der Vereinten Nationen vor. Diese wurden damit zum ersten Mal in Österreich präsentiert. Die Leitlinien beschäftigen sich mit allem, das notwendig ist, um ein selbstbestimmtes Wohnen für alle Menschen zu ermöglichen. Dies umfasst zum Beispiel den Wandel von Wohneinrichtungen hin zu selbstbestimmtem und inklusivem Wohnen. „Dieser Prozess bedeutet ein großes Umdenken. Wichtig ist es dabei, die persönlichen Erfahrungen von Menschen mit Behinderungen zu hören. Außerdem müssen die vielen engagierten Menschen, die in der Begleitung und Unterstützung von Menschen mit Behinderungen arbeiten, mitgenommen werden“, sagt Isolde Kafka, Vorsitzende des Tiroler Monitoringausschusses.

Erfahrungsbericht von Monika Rauchberger

Monika Rauchberger vertritt als Mitglied im Tiroler Monitoringausschuss Menschen mit Lernschwierigkeiten. Sie hat als Kind und erwachsene Frau viele Jahre in Heimen und anderen Wohneinrichtungen gelebt. Nach einem langen Prozess der Deinstitutionalisierung lebt sie mit persönlicher Assistenz in einer gemieteten Wohnung. Sie berichtet: „Seit ich in meiner eigenen behindertengerechten Wohnung lebe, weiß ich, was der Unterschied zwischen persönlicher Assistenz und Betreuung ist. Davor habe ich Ewigkeiten lang in Heimen und in einer Wohngemeinschaft gelebt. Dort gab es nur Betreuung und keine persönliche Assistenz. Die Betreuerinnen und Betreuer in den Heimen und auch in den Wohngemeinschaften geben den Dienstplan vor. Sie sagen, was die Menschen mit Behinderungen zu tun haben. Die Betreuerinnen und Betreuer lassen die Menschen mit Behinderungen nie aus den Augen. Weil die Betreuerinnen und Betreuer haben viel zu viel Angst, dass mit den Menschen mit Behinderungen im Heim etwas passieren könnte. Die Leute mit Behinderungen müssen zu bestimmten Zeiten im Heim sein. Zum Beispiel zu den Essenszeiten. Die persönlichen Assistentinnen und Assistenten kommen zu mir, wann ich es mit ihnen ausgemacht habe. Das heißt, ich sage zu ihnen, um welche Uhrzeit sie in meine Wohnung oder woanders hinkommen sollen. Dann sage ich ihnen, was sie für mich tun sollen. Und wie sie es tun sollen. Die Assistentinnen und Assistenten machen sich um mich keine Sorgen.“

Recht auf selbstbestimmtes Wohnen

Die zur Sitzung geladene Expertin Ines Bulic vom Europäischen Netzwerk für Selbstbestimmtes Leben präsentierte im Rahmen der öffentlichen Sitzung die zentralen Inhalte der Leitlinien. Im Anschluss beschäftigten sich SitzungsteilnehmerInnen in thematischen Arbeitsgruppen mit deren Auswirkungen auf Tirol. So wurde etwa der umfassende Ausbau der Persönlichen Assistenz und des Budgets als notwendige Maßnahme zur Deinstitutionalisierung diskutiert. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse wird der Monitoringausschuss mit dem Land Tirol in einem konstruktiven Prozess weiter behandeln.

„Bei den neuen Leitlinien geht um das Thema ‚Wohnen wie alle anderen auch‘. Das Recht auf selbstbestimmtes Wohnen bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen selbst entscheiden können, wo, wie und mit wem sie zusammenleben. Es ist ein zentrales Grundrecht und wesentliches Element der UN-Behindertenrechtskonvention. Doch gerade dieses Recht ist für Menschen mit Behinderungen vielfach nicht gegeben. Die ‚Leitlinien zur Deinstitutionalisierung‘ legen daher nun klar fest, welche Maßnahmen für mehr selbstbestimmtes Wohnen gesetzt werden müssen“, erklärt Isolde Kafka.

Für Autonomie, Wahlfreiheit und Kontrolle

Die „Leitlinien zur Deinstitutionalisierung“ wurden vom UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Rahmen eines partizipativen Prozesses erarbeitet, an dem sich über 500 Menschen mit Behinderungen beteiligten. Die Leitlinien schreiben den Vertragsstaaten vor, die Institutionalisierung zu beenden. So wird in Heimen und anderen Wohneinrichtungen in der Regel das betreuende Personal gemeinsam genutzt und die BewohnerInnen haben keinen oder nur einen begrenzten Einfluss auf die Personalauswahl. Dasselbe trifft auf alltägliche Entscheidungen, geplante Aktivitäten oder MitbewohnerInnen zu. Darüber hinaus sind BewohnerInnenin den Einrichtungen vielfach unter sich und ins gesellschaftliche Leben in der Gemeinde zu wenig integriert. Durch Deinstitutionalisierungsprozesse sollen Menschen mit Behinderungen ihre Autonomie, Wahlfreiheit und Kontrolle zurückerhalten.

Von der Betreuung zur Begleitung

Für den Veränderungsprozess brauche es Struktur- und Angebotsänderungen genauso wie eine fortlaufende Qualitätsentwicklung – von der Betreuung zur Begleitung – unter Einbindung aller Beteiligten. Dies kann auch zur Verminderung von strukturellen Einschränkungen wie fehlenden Rückzugsmöglichkeiten, unzureichender Berücksichtigung der Privatsphäre und Ähnlichem verhelfen.

Den Vortrag von Ines Bulic im Rahmen der öffentlichen Sitzung können Sie hier nachsehen. Die Leitlinien der Vereinten Nationen in deutscher Übersetzung sind hier abrufbar. Mehr Informationen zum Tiroler Monitoringausschuss finden sich unter www.tirol.gv.at/monitoringausschuss.