LH Mattle: „Wir bleiben in der Transitfrage konstruktiv, geben dem Druck von Salvini aber nicht nach“

Schulterschluss zwischen Bund und Land: LH Mattle, BMin Gewessler und LR Zumtobel sind sich einig

  • Tirol beruft sich auf Alpenkonvention, Weißbuch „Verkehr“ und „Green Deal“
  • Professor Obwexer: „Tirol muss sich keine Sorgen machen“

Auf Initiative von Landeshauptmann Anton Mattle hat der Tiroler Landtag in der vergangenen Woche einen umfassenden Allparteien-Beschluss verabschiedet, der mit den heutigen Ankündigungen des italienischen Verkehrsministers Matteo Salvini, eine Klage gegen Österreich wegen Tirols Anti-Transitmaßnahmen einzubringen, zu greifen beginnt: „Der italienische Verkehrsminister legt es darauf an und will gegen unsere Notmaßnahmen und damit gegen die Tirolerinnen und Tiroler vor Gericht ziehen. Als Landeshauptmann werde ich die Tiroler Anti-Transitmaßnahmen vor jeder Institution dieser Welt begründen, erklären und verteidigen. Es ist genug mit der Belastung, denn jeder und jede sieht und spürt, dass entlang des gesamten Brennerkorridors Gesundheit, Umwelt und Infrastruktur überstrapaziert sind. Es braucht nicht weniger, sondern neue Maßnahmen, um der Transitbelastung Herr zu werden und die Verkehrswende zu schaffen. Wir bleiben in der Transitfrage, gemeinsam mit Bayern und innerhalb der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino, konstruktiv und gesprächsbereit. Dem Druck des italienischen Verkehrsministers und seiner Transit-Lobby werden wir aber nicht nachgeben“, wird LH Mattle morgen im Rahmen des Ausschusses der Regionen nach Brüssel reisen, um vor Ort den Standpunkt Tirols zu erläutern.

Unterstützung für die Haltung Tirols kommt von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler. „Wir stehen hier im Bund eng an der Seite Tirols. Die Notmaßnahmen sind gerechtfertigt und sie sind notwendig. Sie schützen die Gesundheit und die Lebensbedingungen der Tirolerinnen und Tiroler. Wir werden selbstverständlich alle nötigen rechtlichen Schritte ergreifen, um die Notmaßnahmen gemeinsam mit der Landesregierung zu verteidigen. Meinen Appell kann ich nur wiederholen: Nehmen wir die Bevölkerung vor Ort ernst. Mit dem Slot-System liegt ein Vorschlag am Tisch. Darüber reden wäre jedenfalls besser als Drohungen und rechtliche Auseinandersetzung“, betont BMin Gewessler.

„Ich gebe dem italienischen Verkehrsminister nur in einem Recht: Am Brennerkorridor kann es tatsächlich nicht mehr so weitergehen. Die Bevölkerung, die Umwelt und auch die Infrastruktur haben ihre Belastungsgrenzen längst überschritten, weshalb wir den Status-Quo am Brennerkorridor gemeinsam verbessern sollten und nicht nachhaltig verschlechtern. Vielmehr wollen wir mit unseren regionalen Partnern durch ein neuartiges intelligentes Verkehrsmanagementsystem einen innovativen Vorschlag vorantreiben, um die Bevölkerung entlang der gesamten Brennerroute zu entlasten und den Verkehr für die Wirtschaft planbarer machen “, sieht Verkehrslandesrat René Zumtobel Tirol auf einem konstruktiven Weg.

Tirol beruft sich auf Alpenkonvention, Weißbuch „Verkehr“ und „Green Deal“

Der Brennerkorridor ist die bedeutendste, aber auch mit Abstand meistbefahrene Nord-Süd-Verbindung in den Alpen. Mittlerweile rollen jährlich mehr als 2,5 Millionen LKW über den Brenner. Die Tiroler Routenwahlstudie hat bereits 2019 aufgezeigt, dass am Brenner insgesamt 33 Prozent eine um mehr als 60 Kilometer kürzere Alternativroute über einen anderen alpenquerenden Pass gehabt hätten, aber die Route über den Brenner gewählt haben und damit als Umwegverkehr einzustufen sind. Nur 40 Prozent der Transit-LKW über den Brenner sind, wenn man dieses Kriterium heranzieht, am Bestweg unterwegs. Rund ein Fünftel aller LKW am Brennerkorridor hätten sogar eine um mehr als 120 Kilometer kürzere Alternativroute nehmen können. Die Zunahme des Transitverkehrs ist vor allem auf die im Vergleich zu anderen alpenüberquerenden Routen in der Schweiz oder Frankreich niedrigere Maut am gesamten Brennerkorridor (München – Verona) zurückzuführen. „Die mögliche Aufhebung der Tiroler Anti-Transitmaßnahmen würde auch massive Auswirkungen auf die Südtiroler und Trentiner Bevölkerung haben, doch all diese Konsequenzen scheinen keine Rolle zu spielen, wenn es um die Interessen der italienischen Frächterlobby geht. Sollte es tatsächlich zu einem Gerichtsentscheid kommen, dann muss sich die EU entscheiden, ob die Gesundheit einer ganzen Region vom internationalen LKW-Transitverkehr aufs Abstellgleis gestellt werden kann“, so LR Zumtobel.

 „Die verkehrsbeschränkenden Notmaßnahmen auf der Inntal- und Brennerautobahn sind für den Schutz der Gesundheit und der Umwelt, für die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit einer wichtigen europäischen Hauptverkehrsachse und für die Versorgungssicherheit im gesamten Land unerlässlich. Ohne die Aufrechterhaltung der gerechtfertigten Fahrverbote und Verkehrsbeschränkungen wäre ein Verkehrskollaps nicht mehr zu verhindern. Das würde weitreichende Folgen für die Tiroler Bevölkerung und die gesamte europäische Wirtschaft mit sich bringen. Ich danke Ministerin Gewessler, die alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen wird, um die Tiroler Notmaßnahmen zu verteidigen. Wir bauen auf die Alpenkonvention samt Verkehrsprotokoll sowie das Weißbuch ‚Verkehr‘ und den ‚Green Deal‘ der Europäischen Kommission, die allesamt eine Reduktion des Güterverkehrs auf der Straße, eine Verlagerung auf die Schiene und die Verkehrswende vorsehen. Die einschlägigen Verträge hat Italien unterzeichnet, die Maßnahmen der Europäischen Union mitgetragen – darauf sollte sich auch Salvini besinnen“, ist LH Mattle in engem Kontakt mit dem Europarechtsexperten Univ.-Prof. Dr. Walter Obwexer vom Institut für Europarecht und Völkerrecht der Universität Innsbruck.

Gemäß dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist ein Mitgliedstaat berechtigt, bei vermuteten Vertragsverstößen gegen einen anderes Mitgliedstaat Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg einzureichen. Zuvor muss Italien aber die Kommission mit formalem Schreiben auffordern, selbst aktiv zu werden. Reagiert die Kommission auf das italienische Schreiben nicht oder lehnt die Klags-Aufforderung ab, kann Italien selbst vor den EuGH ziehen. Im Schnitt dauert ein EuGH-Verfahren eineinhalb bis zwei Jahre. „Grundsätzlich muss sich Tirol keine Sorgen machen, der freie Warenverkehr gilt nämlich nicht uneingeschränkt, sondern darf aus wichtigen Gründen eingeschränkt werden. Die Tiroler Maßnahmen sind alle EU-konform ausgestaltet. Sie sind auf den Schutz der Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung sowie die Funktionsfähigkeit der Autobahn gestützt und dienen zusätzlich dem Ziel der Verlagerung des Schwerverkehrs von der Straße auf die Schiene, wie dies in der Alpenkonvention und auch in den von der Union formulierten Zielen vorgesehen ist. Bei den Luftgrenzwerten, die aktuell in Tirol größtenteils eingehalten werden, plant die Europäische Union eine Verschärfung der Luftqualitäts-Richtlinie, das spielt Österreich in die Hände. Aber auch kurzfristig wird Österreich der Nachweis gelingen, dass sich im Falle einer Aufhebung der LKW-Fahrverbote die Luftgrenzwerte wieder verschlechtern. Italien wird mit seiner Maximalforderung, nämlich der Aufhebung aller Tiroler Verbote, nicht durchdringen. Im schlimmsten Fall muss es Anpassungen einzelner Maßnahmen geben, gänzlich fallen werden diese aber aus heutiger Sicht nicht“, ist Obwexer überzeugt.